Von Klaus Barnstedt
Bekanntlich meldete Spiegel-online in der letzten Woche, man werde eine neue Linie in der Berichterstattung verfolgen. In einem Kommentar zum „Terror in Deutschland“ heißt eine Absatzüberschrift „Selbstkritik wäre angebracht“.
Politiker und auch Journalisten(!) seien schuld an einem beklagenswerten Populismus, der den Nährboden für Angriffe auf Asylantenunterkünfte bereitet habe. Damit müsse jetzt Schluss sein.
In Zusammenhang mit den entsprechenden Spiegel-Zitaten hört sich die Botschaft des betreffenden Kommentars für den erstaunten Leser folgendermaßen an:
Jawohl, wir bekennen, auch wir haben uns schuldig gemacht.
Vor Jahren fragten wir „Zu viele Ausländer?“ Das war eindeutig fremdenfeindlich. Im Jahre 2007 hieß einer unserer markanten Aufmacher „Mekka Deutschland“. Untertitel: „Die stille Islamisierung“.
Wie sich in den darauf folgenden Jahren gezeigt hat, ist die sogenannte „Islamisierung“ aber nur eine „vermeintliche“.
Wir bedauern zutiefst, Menschenfeindlichkeit und Islamophobie vorgelebt und bei Individuen, die nicht selbst denken können, eine Hinwendung zum Terrorismus gefördert zu haben.
Wir geloben Besserung und fordern einen erneuten „Aufstand der Anständigen“.
Man distanziert sich in unwürdiger Selbstbezichtigung nach Jahren (!) von sachlich korrekten Analysen. Und das, nachdem die damals nachvollziehbar beschriebenen Zustände sich bis in diese Tage hinein sogar massiv verschlimmert haben.
Das kann keine Torheit sein. Es ist die unverhohlene Absichtserklärung, noch stärker auf manipulative Weise in die Meinungsbildung der Bevölkerung eingreifen zu wollen.
Der Spiegel, das Sturmgeschütz des investigativen Journalismus Deutschlands, gibt also bekannt, ab sofort zur dicken Berta der Bundesregierung zu mutieren. Noch dazu geht er mit gutem Beispiel für andere Medien voran, obendrein für so manchen Politiker!
In der letzten SPIEGEL-Ausgabe (Nr. 32, 01.08.15) assistiert Jakob Augstein der Online-Ausgabe mit kollegialem Sperrfeuer vom Mutterschiff aus. Der beklagte Terrorismus sei nicht einmal als solcher zu bezeichnen. Fehlende Willkommenskultur und Attacken auf Asylantenheime seien „viel schlimmer“ als Terrorismus, heißt es in seinem Kommentar.
Grandios! Eine derartige Verharmlosung von Terrorismus liegt auf dem geistigen Niveau einer Leugnung des Holocaust.
Zur Erinnerung: Der linksextremistische Terror der RAF wurde nach dem Prinzip einer Stadtguerilla generalstabsmäßig durchgeführt. Er erstreckte sich über dreißig Jahre, von ca. 1970 bis etwa 2001. Drei „Generationen“ von Terroristen waren daran beteiligt. Bilanz: 34 Morde sowie Entführungen, unter anderem von einflussreichen Personen, hohen Beamten und Politikern. Dazu Banküberfälle und Sprengstoffattentate mit 200 Verletzten.
Auf dem Höhepunkt der terroristischen Aktivitäten 1977 wurde der Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer ermordet aufgefunden, nachdem die Freipressung von Inhaftierten RAF-Mitgliedern (mittels Entführung einer Lufthansamaschine) gescheitert war.
Nach obiger Augstein-Lesart müsste auch der religiös motivierte, islamistische Terrorismus vergleichsweise harmlos sein. Dem dürfte aber der eine oder andere Terrorismusexperte deutlich widersprechen. Bekanntermaßen ist Bremen, das als Salafisten-Hochburg Deutschlands gilt, Ende Februar dieses Jahres nur knapp einem Anschlag entgangen. Peter Neumann, Direktor des „International Center for the Study of Radicalisation“ am King’s College in London, meint über die Gefährdungslage in Deutschland:
„Die Situation ist so, dass es schon fast überraschend wäre, wenn nichts passiert.“
(Weser-Kurier v. 22.04.2015)
Noch einmal Jakob Augstein in seinem letzten Spiegel-Kommentar („Terrorismus?“):
„Die Angriffe auf Ausländer … sind kein Terrorismus. Sie sind viel schlimmer.“
Die Asylbewerber würden „auch als Arme“ angegriffen.
Wo lebt jemand, der derartige Vergleiche anstellt und solche Wertungen vornimmt?
Überhaupt: Bei der planmäßig gesteuerten Nachrichtenlage ist es schwer zu beurteilen, ob die größere Gefahr für Asylbewerber nicht von ihnen selbst ausgeht.
Von Bewohnern verursachte Brände in Asylunterkünften, dortige Massenschlägereien einschließlich Messerstechereien mit tödlichem Ausgang dürften bisher das Maß an Gewalttätigkeit von aggressiven Willkommenskulturverweigerern weit überschritten haben.
Wie wäre es einmal mit dieser Sichtweise: Eine einseitige und verharmlosende Berichterstattung über die Flüchtlings- und Asylproblematik steigert die Empörung und Wut vieler Einheimischer und setzt bei bestimmten Einzelpersonen und Gruppen die Hemmschwelle für unkontrollierte, blindwütige Attacken herab.
Deshalb liegt es in der Verantwortung seriöser Medien, umfassend und wahrheitsgemäß zu berichten.
Peinlicherweise hat sich in den Spiegel-Redakteursstuben noch nicht herumgesprochen, dass – als Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion – die emotionale Befindlichkeit pseudo-humanistischer Großsprecher längst glasklar analysiert worden ist.
In einem brillanten Artikel, der Anfang Juni auf dieser Website veröffentlicht wurde, schreibt Alexander Meschnig unter der Überschrift „Der westliche Selbsthass“ im letzten Absatz:
„Der Selbsthass und die eigene Bußfertigkeit, die in der Abwertung des Eigenen eine Tugend erblickt, sind so tief in den kulturellen Traditionen unserer protestantischen Schuldkultur verwurzelt, dass etwa jegliche Kritik an der selbstzerstörerischen Asylpolitik als moralisches Versagen und herzlose Haltung erscheint.“ *)
Das 1949 beschlossene Spiegel-Statut lautete:
„Alle im Spiegel verarbeiteten und verzeichneten Nachrichten, Informationen, Tatsachen müssen unbedingt zutreffen. Jede Nachricht und jede Tatsache ist […] peinlichst genau nachzuprüfen.“
Heute müsste man schon froh sein, wenn die Verhältnismäßigkeit der angesprochenen Sachverhalte einigermaßen stimmig wäre.
*) http://journalistenwatch.com/cms/der-westliche-selbsthass/