Von Klaus Barnstedt
Wer kennt das nicht? Bestimmte Reize wie zum Beispiel Gerüche,
Geräusche und sonstige individuelle Sinneseindrücke rufen Erinnerungen an zurückliegende Situationen und Ereignisse wach.
Immer häufiger in letzter Zeit, wenn ich im Laufe des Tages mit der konzertierten Medienaktion von Regierungsverantwortlichen und deren Assistenten, Adjutanten und Claqueuren konfrontiert bin, erscheint ein Gemälde vor meinem geistigen Auge, das bei mir seit meiner Jugendzeit einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen hat.
Es handelt sich um das großformatige Bild „Die Stützen der Gesellschaft“, von George Grosz (1893-1959).
Der Maler, Grafiker und Karikaturist, Vertreter der „Neuen Sachlichkeit“, schuf das Ölgemälde zur Zeit der Weimarer Republik (1926) und verspottet darin die herrschenden Kreise dieser Zeit.
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Wie gesagt, sobald ich eine banalisierende oder geheuchelte oder die Realität entstellende Aussage eines Politikers, eines Moderators höre, wenn ich einen manipulativ-verharmlosenden Zeitungsbericht oder -kommentar zur aktuellen politischen Lage lese, sehe ich eine der Figuren des betreffenden Bildes, in dessen Kopf sich statt eines Gehirns ein dampfender Scheißhaufen befindet.
Die äußere Erscheinung dieser Person entspricht der damaligen gängigen Vorstellung eines angesehenen, wohlhabenden Bürgers. Im Bild ist es die Typisierung des feisten Kapitalisten oder eines Parlamentariers.
Auch die anderen vier Gestalten entsprechen unsympathischen Charaktertypen, stilisierten Repräsentanten einer durch und durch maroden Gesellschaft.
Im Vordergrund der gesetzte, arrivierte Bürger als schneidiges Großmaul und fordernd auftretender, hässlicher Vertreter einer verbreiteten, wahrscheinlich weithin akzeptierten Meinung. Er ist der auftrumpfende Zeitgenosse, der sich seiner Sache absolut sicher zu sein scheint.
Aus seinem Kopf ohne Schädeldecke steigen die Gedanken in Form eines Gewirrs und Gestrüpps von Drähten und Metallteilen, unentwirrbare Zeichen einer offiziell und amtlich wirkenden, aber völlig verqueren Sichtweise.
Sodann sind da der Pressevertreter, der Geistliche sowie einige Militärs.
Der Einfluss des Zeitungsmenschen auf die öffentliche Meinung wird mit einem Palmwedel ironisiert, den er in seiner Hand hält. Der Maler verweist damit auf die betrügerisch angelegte Selbstdarstellung des Medienvertreters, in seiner Berichterstattung angeblich für Frieden und Fortschritt einzustehen. Grosz kommentierte dazu für die entsprechende Zeit:
„Die Zeitungen werden immer übler, das Friedensgewand hat sich gut erhalten … Die Dummheit, die, wie man töricht meint, im Abnehmen war – nimmt täglich zu …“
Mit pathetisch ausgreifender Geste scheint der gottverlassene Kirchenmann ein staatlicherseits angerichtetes Unheil abzusegnen, während dekorierte Soldaten kampfbereit und mit verbissener Miene in eine entgegengesetzte Richtung marschieren.
Alle dargestellten Personen sind bildlich scharf voneinander abgesetzt, arbeiten aber an dem sich ausbreitenden Chaos auf unheilvolle Weise zusammen, was in letzter Konsequenz auf einen Untergang hinauslaufen muss, dargestellt durch brennende Gebäude.
Nahezu bruchlos lässt sich diese Kernaussage auf die heutigen ‚Stützen der Gesellschaft’ übertragen, denn deren einflussreichsten Repräsentanten sind genau dieselben wie die in dem Bild dargestellten.
Natürlich treten die heutigen herrschenden Kreise anders in Erscheinung. Ihr Habitus hat sich mit der Zeit gewandelt, ihr Äußeres entspricht der gängigen Mode. An ihrem in dem Gemälde veranschaulichten Stellenwert und an ihrem Einfluss hat sich jedoch nichts geändert:
Die heutige Entsprechung des markigen Großtöners ist der salbungs- und einseitig verständnisvoll Daherredende, dessen Gefährlichkeit in seinen ungeniert verbalisierten Diffamierungen zutage tritt. Er trägt statt des Hakenkreuzes den Bundesadler, ein „Peace“- oder sonstiges Abzeichen oder irgendeinen vordergründig harmlos wirkenden, symbolträchtigen Sticker am Ärmel oder dem Revers.
Was eine selbstgefällige, volkserzieherische Absichten verfolgende Medienpräsenz angeht, ist an dieser Stelle bereits mehrfach darauf eingegangen worden.
Und über Kirchenvertreter, die einer fatalistisch ausgerichteten Menschlichkeit das Wort reden, ansonsten mit den Wölfen heulen, um auf staatliche Segnungen nicht verzichten zu müssen, soll hier auch nicht zum wiederholten Male gesprochen werden.
Bemerkenswert ist, wie George Grosz in seiner Biografie von 1955 seine Lebenserfahrungen in der Zeit der Weimarer Republik als unheilvolles Kapitel zwischen zwei Weltkriegen zusammenfasst.
Teilweise liest es sich, als beschreibe er eine Spaltung der Gesellschaft, wie sie auch uns ins Haus steht:
„Alle wurden gehaßt: die Juden, die Kapitalisten, die Junker, die Kommunisten, das Militär, die Hausbesitzer, die Arbeiter, die Arbeitslosen, die Schwarze Reichswehr, die Kontrollkommissionen, die Politiker, die Warenhäuser und nochmals die Juden. Es war eine Orgie der Verhetzung, und die Republik war schwach, kaum wahrnehmbar. Das mußte mit einem furchtbaren Krach enden. …
Es war eine völlig negative Welt, mit buntem Schaum obenauf, den viele für das wahre, glückliche Deutschland vor dem Anbruch der neuen Barbarei hielten.“
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