Von Michael Klein
Der Tod eines 24jährigen Syrers, der als Folge des Anstehens am Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales am 27. Januar verstorben sein soll, hat Wellen geschlagen. Die SMS-Mitteilung des Todes liest sich im Dialog zweier Helfer von “Moabit hilft” wie folgt:
“Was hat er?
ich weiß es nicht, er hat 39,4 Fieber, SChüttelfrost und kann nicht mehr sprechen. Ich denke, ich rufe einen Krankenwagen jetzt
>>Mach das definitiv!!!
Sag Bescheid wenn Du Hilfe brauchst! Ich komm auch vorbei danke, hab angerufenOk, sitze im krankenwagen herzstillstand
>>ich glaubs nicht F***!!!!!!!! (…) Brauchst DU dort support??? Ich komm vorbei und halt Deine Hand das kann doch nicht sein Du bist doch selbst noch krank
Geht Arabisch – Englisch – Übersetzung auch??? Hasan ist noch wachMein Freund Matthias ist Arzt, er bringt wen mit. zum übersetzen
meld mich gleich
>>Ich geb Khaled deine No per Telefon sofort möglich
Er hat versucht dich anzurufen, er macht das fantastisch – Muttersprachler und liebster Mensch – geht das per Telefon und hilft bis der von Matthias kommt?Danke Reyna, bin in Klinik Matthias ist jetzt hier. Kann ich Khaled noch etwas anrufen?
Kann er mich adden, bitte?
>>Ja!
Ich sag’s ihm
Hab dir seine nr auch geschickt – du hast ihn grade scheint’s weggedrücktbin in klinik
>>Kannst nicht trl.?
Der hält sich grade für euch noch wachNein, er stirbt. kann nicht telenieren
>>Dirk du darfst in der Situation nicht allein sein. Schnips mit dem Finger und ich komm.
Name Klinik reichtEr ist gerade verstorben Ich melde mich hiermit offiziell ab
>>Ich bin mit allem, was ich habe an Geist und Herz bei dir. Jetzt, den Rest der Nacht und morgen und immer. Tränen”
Die Geschichte ist tragisch, sehr tragisch, wenn sie wahr ist und wenn es stimmt, dass Flüchtlinge stundenlang in der Kälte zubringen müssen, um sich bei einem Amt einen Stempel unter einem Formular abzuholen, das man problemlos über das Internet verbreiten könnte. Und weil der Tod des 24jährigen Syrers so tragisch ist, muss er gleich per Todesanzeige genutzt werden, und zwar so:
Auch die deutsche Presse ist betroffen und formuliert Schlagzeilen wie:
24jähriger Syrer: “Moabit hilft” meldet Tod von Flüchtling am LaGeSo.
oder
Flüchtling nach tagelangem Anstehen in Berlin gestorben
oder
Flüchtling nach tagelangem Anstehen in Kälte gestorben
oder
Betroffenheit nach Tod eines jungen Syrers
Und jetzt kommt es:
Der 24jährige Syrer, der in Berlin nach langem Anstehen gestorben sein soll, es gibt ihn nicht.
Die Geschichte ist frei erfunden.
Uns interessiert hier nicht in erster Linie, wieso Dirk, der Helfer von “Moabit hilft” meint, den Tod eines Menschen frei erfinden zu müssen. Diese Frage sollen Psychiater beantworten. Man kann nur erschreckt annehmen, dass Helfer Tote herbeizusehen scheinen, um das Marketing dafür anzukurbeln, die mit Sicherheit schlechten Zustände zu verbessern wie sie z.B. vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales herrschen.
Die Stimmung unter den Helfern muss entsprechend hysterisch und aufgeladen sein, die ideologische Ladung geradezu explosiv, so dass man die Freude darüber, dass trotz aller schlechter Bedingungen, nichts passiert, in die Hoffnung umkehrt, ein Opfertod möge die schlechten Bedingungen anprangern, wenn schon nicht verändern. Man fühlt sich an die Homosexuellen-Aktivisten erinnert, die partout darauf bestehen, dass Homosexuelle sich öfter das Leben nehmen als Heterosexuelle, und anstatt freudig darüber zu sein, dass die Daten den häufigeren Suizid von Homosexuellen nicht belegen, sind sie verärgert und verbiestert und bezeichnen jeden, der es wagt, an ihrer Todessehnsucht für andere zu sägen, als homophob. Flüchtlingshelfer in Berlin scheinen dieses Syndrom zu teilen.
Die erfundene Geschichte vom Tod des 24jährigen Syrers hat eine Welle der Betroffenheit und einen Berg von Grabkerzen nach sich gezogen. Professionell Betroffene sind zum Ort des Geschehens gepilgert, um sich dort als betroffen, betroffen über den Tod eines Menschen, den sie nicht kannten, zu zeigen.
Das Betroffenheitshappening zeigt deutlich, wozu Flüchtlinge manchen in Deutschland dienen: Aus ihnen lässt sich moralisches Kapital schlagen. Syrer, syrische Flüchtlinge und am besten noch, syrische Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen und sterben, das sind derzeit die besten Mittel, die man instrumentalisieren kann, um die eigene Gutheit und die eigene moralische Überlegenheit zu inszenieren, um sich selbst als Krone der deutschen Schöpfung darzustellen.
Man muss entsprechend entsetzt über die Art und Weise sein, in der Flüchtlinge in Deutschland instrumentalisiert werden. Dies gilt nicht in erster Linie für Dirk, den Helfer, der den Tod des 24jährigen Syrers frei erfunden hat, sondern vor allem für die professionellen Betroffenen, die mit ihren Grabkerzen bereits in den Startklötzen gekauert haben, um endlich ihre moralische Entrüstung loswerden zu können und sich selbst als richtig betroffen und vor allem richtig gut inszenieren zu können.
Derartige moralische Inszenierungen müssen betroffen machen, wenn man die Meldung des toten Syrers als Erschütterungsexperiment auffasst, wie es in der Ethnomethodologie angewendet wird, um kulturelle Überzeugungen zum Vorschein zu bringen. Was die Falschmeldung über den Tod eines 24jährigen Syrers in Berlin zum Vorschein gebracht hat, sind kulturelle Überzeugungen, die in egozentrischen Zirkeln um die eigene Person kreisen und nur dann Kontakt zur Außenwelt aufnehmen, wenn man andere instrumentalisieren kann, um auf ihrem Rücken oder auf ihrer Leiche, eigene Ziele zu erreichen.
Wem dieses Urteil zu harsch erscheint, der kann leicht den Gegenbeweis antreten, in dem er uns die Freudengesänge und Bilder und Happenings der Freude all derer zeigt, die eben noch betroffen und bestürzt, nun erleichtert und erfreut darüber sind, dass kein 24jähriger Syrer in Berlin gestorben ist.