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LIEDER IM VOLKSTON

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Von Max Erdinger

Im Arnshaugk-Verlag erschien dieser Tage eine interessante CD. „Die Zeit legt ab ihr altes Kleid“ heißt sie. Der Komponist Christian E. Glowatzki(Info: http://www.arnshaugk.de/index.php…) vertonte Gedichte deutscher Autoren, darunter auch zeitgenössische, um damit einerseits etwas Neues zu schaffen, andererseits aber an die Tradition des deutschen Volkslieds anzuknüpfen und sie fortzuführen.

Die Aufnahmen fanden im Konzertsaal von Schloß Seehaus in Mittelfranken statt. Ich hatte Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem Komponisten.

Frage: Warum Lieder im Volkston, Christian?

Glowatzki: Komponisten aller Zeit haben immer auch Texte aus ihrer Zeit vertont. Es wurden hierzu musikalische Mittel der Zeit verwendet. Es wurde also nicht nur für Konzertsaal und Gottesdienst komponiert, sondern auch für den Hausgebrauch. Wenn ich mich nach Mainstreamdichtung der heutigen Zeit umsehe, stoße ich auf Formen, die sich zweifellos vertonen lassen. Allerdings nicht im Sinne des Volksliedes. Gut, Neue-Musik-Theater kann sehr reizvoll sein. Ich komponiere auch sehr gern atonale Konzertmusik und habe Erfolge damit.
Text und Musik müssen eine Einheit bilden, damit ein organisches Ganzes geschaffen wird. Die Dichtung, die ich im Arnshaugk-Verlag gefunden habe, hat mich sehr angesprochen. Es ist zeitgenössische Reimdichtung. Diese Dichtungen rufen förmlich danach, im Sinne des Volksliedes vertont zu werden. Nicht als nachgeäffte Form. Sondern, auf die Tradition aufbauend, im Neuen Gewande.

Frage: Wie sollen die Lieder Eingang finden in den deutschen Liederschatz?

Glowatzki: Das funktioniert am Besten über das Tun. Die Lieder sollen gesungen werden. Und zwar zu allen möglichen Gelegenheiten. Ich habe sie so konzipiert, daß sie zu Hause ebenso gesungen werden können, wie im Konzertsaal. Gleichzeitig sind sie so aufgebaut, daß sie die Möglichkeit bieten, in verschiedenste musikalische Formen gegossen zu werden. Man kann daraus Solo-Kantaten oder Chormotetten genauso machen, wie auch Cover-Versionen von Bands verschiedenster Colleur.

Frage: Wird es öffentliche Liederabende geben?

Glowatzki: Mittlerweile habe ich einige Termine, bei denen ich in Konzert oder Gesprächskonzert meine Lieder vorstelle. Im letzten Jahr habe ich mehrfach die Probe aufs Exempel gemacht und in Konzerten, die ich gegeben habe, ins Programm neben die Werke der Meister aus Barock, Romantik oder Moderne 2-3 meiner neuen Lieder im Volkston eingefügt. Die Resonanz war durchweg positiv.

Frage: Gibt es Interesse an neuem deutschen Liedgut?

Glowatzki: Wenn ich mich mit Kollegen oder Konzertteilnehmern unterhalte, höre ich manchmal, daß einerseits die Zeit der Volkslieder vorbei ist. Andererseits wird jedes Mal deutlich, daß diese Lieder den Menschen fehlen. Und zwar nicht nur die traditionellen Volkslieder. Volksgesänge gibt es schon immer. Sie spiegeln die Zeit wider, in der sie entstehen und gesungen werden. Und genau das ist der Punkt. So etwas fehlt heute: Eine Plattform, die dazu in der Lage ist, das eigene Sein, die eigene Kultur und die eigene Geschichte darzustellen. Und das merken die Menschen und empfinden eine Leere. Ja, Interesse ist vorhanden.

Frage: Waren bekannte Volkslieder zu ihrer Zeit Hits?

Glowatzki: Was ist ein Hit? Man sang Lieder von Arbeit, Glaube, Liebe, Geselligkeit. Man fand sich in den Liedern wieder. Sie waren Ausdruck der eigenen Identität. Wenn das Hits sind, dann ja. Einige Eichendorf-Texte und Silcherlieder singt man bis heute.
1921 schrieb Leo Kestenberg, daß die Musikpflege zu „unseren seelischen Lebensnotwendigkeiten“ und zu unserem „schönsten, unveräußerlichen Besitz“ gehört. Volkslieder gehörten dazu, wie die Luft zum Atmen.

Frage: Nach welchen Kriterien erfolgte die Auswahl der Texte?

Glowatzki: Wie ich schon erwähnte, hatte ich mir vorgenommen, Texte der heutigen Zeit zu vertonen. Dieses Vorhaben liegt nun schon einige Jahre zurück. Die meisten Texte, auf die ich stieß, waren Spiegel des Zeitgeistes. In der DDR aufgewachsen, bin ich ziemlich sensibel, wenn Dichtung oder überhaupt Kunst dazu benutzt wird, Ideologien zu vermitteln. Oft genug auch schwingt in diesen Texten ein Atheismus mit. Sowas kann ich nicht vertonen. Also mußte ich weitersuchen. Letzten Endes bin ich dann auf den Arnshaugk-Verlag gestoßen. Hier werden Dichter wie Rolf Schilling, Uwe Lammla, Horst Lange, Oda Schäfer, Fritz Usinger und andere verlegt. Die Gedichte sind inhaltsschwer, reimen sich und haben eine klare Struktur. Sehr geeignet für die schlichte Form des Volksliedes.

Frage: Gibt es ein Zurück aus der Amerikanisierung der Hörgewohnheiten?

Glowatzki: Eine gute Frage. Was da in den letzten Jahrzehnten passiert ist, hat fundamentale Schäden in unserem Kulturschaffen verursacht. Auch hier möchte ich sagen: Ein „Raus aus dem Sumpf“ geht nur über das eigene Aktivwerden. Kultur fällt einem nicht zu. Nicht jeder ist Sänger, Dichter oder Komponist. Aber jeder kann das Seine wahren.

Frage: Sind die Lieder im Volkston ein konservativ-elitäres Projekt?

Glowatzki: Da ich nicht konservativ-elitär bin würde ich sagen: Nein.

Frage: Singt das deutsche Volk noch außerhalb von Chören und Gesangsvereinen?

Glowatzki: Hierzu ein Gedanke: Chöre und Gesangsvereine sind Bewahrer der Tradition. Das ist gut und wichtig. Aber das ist nicht alles. Tradition ist mehr, als das rückwärtsgewandte Wiederholen ewig gleicher Formeln. Man darf dabei nicht stehenbleiben. Soll es leben, muß man Neues schaffen. Das Neue in meinen Liedern z. B. ist, daß ich mich nicht nur auf die Dur-Moll-Tonalität beschränke. Text und Musik kommunizieren miteinander. Das könnte ein Anknüpfungspunkt sein, damit Lieder im Volkston wieder zu Volksliedern werden.

Frage: Treffen die Lieder im Volkston eine vernachlässigte Sehnsucht? Wenn ja: Sehnsucht wonach?

Glowatzki: Die letzten Jahrzehnte brachten einen stark um sich greifenden Qualitätsverlust in allen Bereichen mit sich. Dieser Qualitätsverlust hat eine gewisse Leere zufolge. Diese Leere wird natürlich empfunden und man entwickelt eine Sehnsucht. Man will die Leere ausfüllen, die Sehnsucht stillen. In einer Zeit, in der nur Quantität zählt, wird das sehr schwierig. Deshalb werden sicher auch oft falsche Wege gegangen. In diesem Zusammenhang wären die Fragen nach dem Woher und Wohin der eigenen Existenz und der eigenen Kultur hilfreich.

Frage: Ist das deutsche Volkslied überhaupt noch zu reanimieren?

Glowatzki: Reanimieren wäre der falsche Ansatz. Es geht nicht darum, eine Form, welcher Gattung auch immer, neu aufzuwärmen. Es geht darum, etwas Neues aus der jetzigen Zeit für die jetzige Zeit zu schaffen. Man kann auf bekannte Formen zurückgreifen. Doch wenn es leben soll, darf man nicht einfach kopieren.

Frage: Welche Hoffnungen setzt du persönlich in die Lieder im Volkston?

Glowatzki: Meine Hoffnung setze ich allein auf Gott. Was meine Lieder angeht, so bin ich selbst überrascht, daß sie offenbar recht gut geworden sind und so gut ankommen. Sie scheinen einen Nerv getroffen zu haben.

Frage: Was ist der Volkston?

Da müßte ich jetzt einen längeren Vortrag halten. Vergleiche mal die Lieder aus der Zeit des ausgehenden Mittelalters (vielleicht Hugo von Montfort, Oswald von Wolkenstein, Ulrich von Liechtenstein) mit den tänzerischen, manchmal derben Liedern der Renaissance, die von tiefen Glauben aber auch Geselligkeit sprechenden Lieder des Barock mit denen der Klassik oder die der Romantik mit denen der Moderne. Eins wird klar. Volksgesänge wurden gesungen, weil Text und Musik das Leben und Denken der jeweiligen Zeit darzustellen vermochte.
Ich habe sie Lieder im Volkston genannt, weil sie eine klare Form haben, harmonisch relativ einfach sind und dennoch die Möglichkeit bieten, höheren Ansprüchen gerecht zu werden. Das Volkslied des 19. Jh. hat es bis in die Konzertsäle geschafft. Es war sogar eine richtige Mode geworden „im Volkston“ zu komponieren. Ich denke dabei an die „Volkslieder“ von Brahms, die eigentlich Kunstlieder sind, die „Stücke im Volkston“ von Schumann oder die „Lieder im Volkston“ von Reger. Ausgegangen aber sind sie, trotz komplexer Harmonik, von einer anrührenden Schlichtheit in der Melodik. Schlichtheit und Anspruch – das zeichnet den Volkston aus.
Volkston bezeichnet in diesem Zusammenhang Musik, die durchaus komplexere Strukturen aufweisen kann, aber als Quelle die Schlichtheit des Volksliedes nutzt.

Interviewer: Danke für das Gespräch, Christian.

Glowatzki: Bittesehr, recht gern.

Die CD gibt es bei http://www.arnshaugk.de/index.php

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