Warum eine durchgreifende Vereinbarung mit der Türkei nicht möglich ist
Von Jörg Gebauer
Dies hat nämlich zuerst objektiv-rechtliche und weniger politische Ursachen. Es findet eine eklatante Fehlinterpretation des internationalen Rechts und des europäischen Staatsrechts statt. Diese resultiert aus purer Unkenntnis der westlichen Staatsphilosophie. Warum muss diese
überhaupt berücksichtigt werden; nicht nur als Einwand sondern auch und gerade als Chance?
Nun denn: Von Seiten der staatsphilosophischen „Natürlichen Freiheit“ her betrachtet, ist jedem Menschen nämlich jederzeit die (endgültige oder vorübergehende) Ausreise zu gestatten. Dies darf kein internationaler Vertrag und erst recht nicht die UNO oder die EU
verhindern. Die Türkei vor den Karren zu spannen, ist staatsrechtswidrig. Denn nun glaubt man doch tatsächlich, die Türkei dürfe Flüchtlinge oder Migranten auf ihrem Staatsgebiet festsetzen. Die „Regierungs-Handelnden“ sind dogmatisch zu sehr auf die Aspekte einer
Ausreise (statt derer einer Einreise) fixiert.
Hingegen gilt nämlich weiterhin unangefochten: Von Seiten der staatsphilosophischen „Republikanischen Freiheit“ (Rousseau) hat jeder Staat – und das ist international unbestritten – das Recht, die Einreise fremder Staatsbürger zu verhindern. Nach traditioneller, klassisch-liberaler Staatstheorie braucht er hierfür keinerlei Begründung. Daran ändert weder ein Staatenbund (oder ein Vertrag zwischen Staaten) noch Schengen und Dublin irgendetwas. Über eine Einreise (nichtdeutscher Staatsbürger) nach Deutschland entscheidet rechtlich nur
Deutschland.
Erkennbar nun für jeden, der nachdenkt: Ja, in der Tat, es gibt einen Unterschied des Reglements und der jeweiligen Legitimation zwischen einer Ausreise und einer Einreise. Welch Wunder für Physiker und Lehrer (Kanzlerin und Vizekanzler); gerade dann, wenn sie
beratungsresistent sind und die Mißerfolge sich pünktlich nach jeder vorherigen Euphorie einstellen.
Das Verwischen der Unterschiede zwischen „Einreise“ und „Ausreise“ verletzt zudem den demokratischen Grundkonsens, weil „solch Regierungshandeln“ die Maxime der klassisch liberalen Staatstheorie ignoriert. Diese Maxime stehen vor der Klammer unserer Verfassung.
Dies hat der ursprüngliche Verfassungs-Gesetzgeber – der „Parlamentarische Rat“ – 1949 ausdrücklich in seinen Beratungen protokolliert sowie in der Präambel des Grundgesetzes manifestiert mit der Formulierung: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor den Menschen“.
Dieser verkürzte Term sollte bewußt die Staatsphilosophie von Hobbes über Montesquieu, John Locke und Rousseau bis Hegel als grundlegend, notwendig (jedoch nicht hinreichend) und unabdingbar zur Basis des modernen Verfassungs-Staates machen. All dies scheint die Bundesregierung auszublenden oder schlichtweg nicht zu wissen.
Diese Unkenntnis und Ignoranz ist die Hauptursache für die aktuelle Staatskrise und die Herrschaft des Unrechts (Seehofer).
Darlegung, warum auch in 2 Wochen eine Einigung mit der Türkei erneut scheitern muss:
Man muss es sich nämlich auf der Zunge zergehen lassen: Da fordern an der griechisch-mazedonischen Grenze Abertausende nichts anderes, als die EU zu verlassen, in welche sie gerade erst gekommen waren. Schließlich ist Griechenland in der EU und Mazedonien nicht.
Warum wohl fordern sie dies? Einen eindeutigeren Beleg dafür, dass es sich um Wirtschafts-Migranten handelt, gibt es wohl kaum.
Faktenlage, Rechtslage: Kann der dritte „TÜRKEI-EU-GIPFEL“ in 2 Wochen (ernsthaft) überhaupt noch ein Erfolg werden? Wie viel Kosmetik hilft dabei, ein völkerrechtliches Desaster zu übertünchen? Können Rechts- und Verfassungsbruch ‚medial‘ in einen Erfolg verwandelt werden, ohne dabei die Unrechtslage sogar noch weiter zu verschärfen? Die fatale Verstrickung der deutschen Unrechts-Politik wird von Tag zu Tag größer.
Die Bundesregierung steht nicht nur vollkommen isoliert da, sondern sie zündelt mittlerweile sogar an der „Grund-Verfasstheit“ Europas, nämlich am westlichen Werte- und Rechtskanon. Verschärfend: Merkel wird nun ultimativ aufgefordert, alle in Griechenland gestrandeten
Migranten von dort direkt nach Deutschland zu bringen. Von großer Tragweite war das, was Tsipras letzte Woche erklärt hatte: Man werde keiner Lösung zustimmen, nach welcher es nicht zu einer gleichmäßigen (proportionalen) Verteilung der in Europa und Griechenland bereits angekommenen Migranten verbindlich kommen solle. Damit ist eine gesamt-europäische Lösung unmöglich geworden.
Bereits die von der Bundesregierung herbeigesehnte „Türkei-Lösung“ galt unter Staatsrechtlern seit mindestens 3 Wochen als nicht möglich. Verschiedene Rechtsgutachten liegen der Bundesregierung, allen relevanten Medien und dem Bundestag seit nunmehr 15 Tagen vor. Dies wurde in den Medien geflissentlich übersehen, überhört und wohl auch (in seiner Tragweite) nicht verstanden.
Kann demnach nun der dritte „TÜRKEI-EU-GIPFEL“ in 2 Wochen vor diesem Hintergrund überhaupt ein Erfolg werden? Die folgenden Aussagen – unter Hauptbezug auf die Türkei – sind von verfassungs- und völkerrechtlicher Relevanz für eine angedachte Vereinbarung mit der Türkei: Merkel könnte zwar (theoretisch noch) eine Vereinbarung vom dritten Türkei-EU-Sondergipfel übernächste Woche mitbringen („Peace in our time“). Alles dies wird nur nichts mehr nützen, denn die Türkei hat bereits klipp und klar erklärt, dass sie allein aus rechtlichen Gründen keinen einzigen Migranten (objektiv) daran hindern könne, das Land zu verlassen.
Und mit dieser Aussage hat Erdogan sogar Recht. Kein Gerichtshof der Welt und auch keine UNO sowie keine EU können die Türkei zwingen, Menschen festzuhalten, die ausreisen wollen. Die Türkei kann sich noch nicht einmal einseitig dazu verpflichten, Flüchtlinge oder Migranten auf türkischem Staatsgebiet festzusetzen. So etwas kann weder völkerrechtlich normiert noch vertraglich vereinbart werden.
Deswegen ist die von Merkel proklamierte (durchgreifende) Lösung nicht möglich. Staats- und völkerrechtlich (siehe Zusammenhang zu westlicher, klassisch-liberaler Staatsphilosophie) sind niemals Ausreisen von Menschen zu verhindern. Hingegen können Staaten sehr wohl immer „die Einreise“ von Ausländern reglementieren (…bis hin zum rigiden Verbot; denn selbst ein Asylantrag muss ja nicht ausschließlich – und nicht zwingend – im Inland gestellt werden können…). Dies nicht klar zu erkennen und zu befolgen, war seit September der Grund-
Konstruktionsfehler der deutschen Politik.
Die Bundesregierung hätte niemals den Pfad der Rechtsstaatlichkeit verlassen dürfen – mit der einzigen Ausnahme einer zeitlich sehr eng begrenzten humanitären Maßnahme (z.B. Duldung formal illegaler Grenzübertritte für einige wenige Tage im letzten September). Jeder
Verantwortliche muss jetzt sehen, dass Merkel aus rechtlichen Gründen keine Lösung mit der Türkei machen kann.
Selbst, wenn die Türken etwas unterschreiben sollten, so wäre dies (wenn es effizient sein soll) jedenfalls verfassungswidrig auf der unsrigen Vertrags-Seite (z.B. ein Ausreise-Verbot für Flüchtlinge und Migranten) und somit rechtlich nichtig. Auf türkischer Vertrags-Seite wäre ein Ausreise-Verbot für Ausländer zumindest völkerrechtswidrig sowie ein eklatanter Verstoß gegen die UN-Menschenrechts-Charta. Geld dürften wir den Türken dafür auf gar keinen Fall geben – angedacht etwa im Gegenzug oder in einem Gesamt-Rahmen für eine solche verfassungs- und völkerrechtswidrige Vereinbarung.