Von Markus Werner
2017 zurück in den Bundestag, das ist für die FDP ein Sine-qua-non, ansonsten ist die Geschichte der Partei vermutlich zu Ende. Christian Lindner hat auf dem Weg dahin bisher vieles richtig gemacht. Er hat sich Zeit gelassen und hat der Versuchung widerstanden, dem medialen Bedeutungsverlust nach Ausscheiden aus dem Parlament durch möglichst laute, sensationsträchtige Statements entgegenzuwirken. Statt dessen eher bescheidene und leise Töne, ein sorgfältiger innerparteilicher Leitbildprozess ( über dessen Ergebnis man allerdings geteilter Meinung sein kann) und eine „Ochsentour“ durch mehr oder weniger bedeutsame Regionalzeitungsredaktionen. Erste Erfolge bei den Landtagswahlen in Hamburg und Bremen stellten sich ein, die zurückgenommene Besonnenheit blieb. Diese Wahlerfolge will man bei den kommenden Urnengängen gerne wiederholen.
Dass ein Dilettanten-Wahlkampf à la „ keine Sau braucht die FDP“ oder „Wir sind dann mal weg“ wie in Thüringen und Brandenburg dabei künftig unbedingt vermieden werden muss, war offensichtlich. Also: zentrale Steuerung der kommenden Wahlkampagnen von Berlin aus, begleitet von der Hamburger Agentur Heimat, die auch die Wahlkämpfe in den Hansestädten konzipiert hatte. Das aber kostet Geld, das die Bundes FDP derzeit schlicht nicht hat. So entstand in Berlin die Idee einer „Sonderumlage“: 25 Euro pro Mitglied und Jahr bis 2017 und man hätte die für die Kampagnen nötigen etwa 4 Millionen Euro zusammen. Kurz bevor der Bundesparteitag den Extrabeitrag absegnete schrieb hämisch die Frankfurter Rundschau: „Normalerweise ist die FDP gegen den Solidaritätszuschlag. Aber nun will Parteichef Christian Lindner ihn eigenhändig einführen.“
Doch ganz so ist es nicht. Nicht die Mitglieder müssen die 25 Euro entrichten, die Kreisverbände der Partei wurden „als Schuldner“ definiert. Im Klartext: Jeder Kreisverband muss entsprechend seiner Mitgliederzahl die Abgabe entrichten, unabhängig davon ob die Mitglieder sie nun zahlen oder nicht. Aus Sicht der Bundespartei ein geschickter Schachzug, sie bekommt das Geld auf jeden Fall, die Kreisverbände den Ärger mit den Mitgliedern oder sie bluten finanziell aus. Ein Schönheitspreis für politische Kultur ist mit diesem Prozedere sicher nicht zu gewinnen, aber das Geld ist erst einmal eingesammelt. Eine Zeitlang sah es so aus, als könne die kleine ausserparlamentarische Oppositionspartei mit frischen Farben, dem „German Mut“ und – nach der „Wutrede“ im Düsseldorfer Landtag- dem Thema „Optimismus und Gründungskultur“ dem politischen Diskurs im Lande eine eigene Richtung geben. In den Umfragen stieg die FDP zeitweilig auf bis zu 7% der Wählerstimmen , um dann wieder unter die Fünf-Prozent-Marke abzufallen, denn die politische Realität setzte die Themen neu.
Die „Griechenlandkrise -Reloaded“ stellte die Freidemokraten vor ein Problem. Weiter wie bisher De-facto-Transferzahlungen zu unterstützen, wäre der eigenen Klientel nicht zu vermitteln gewesen und das Thema bot eine Möglichkeit zur Profilierung. Also forderten Lindner und Lambsdorff jetzt erstmals den Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone, Frank Schäffler mag es als späte Genugtuung empfunden haben. Dumm nur, dass man da nicht schon früher draufgekommen war, hatte die FDP in ihrer Regierungszeit doch sämtliche Hilfspakete und -mechanismen mitgetragen. Die Erklärung für den Sinneswandel – damals seien die Bedingungen und Risiken eben ganz andere gewesen- überzeugt sicherlich nicht jeden. Schließlich die Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik. Auf ihrem Bundesparteitag im Mai hatten die Liberalen einen Beschluss „für ein „weltoffenes Deutschland“ gefasst, der die „Chancen der Einwanderung“ in den Mittelpunkt stellt.
Die Liste der Forderungen ist lang und lässt jedes sozialdemokratische Politikerherz höher schlagen: „ Schaffung von Erstanlaufpunkten“, „Rechtsanspruch auf Beratung“ für Einwanderer, „Deutschförderung für Fachkräfte“, „Vorbereitungskurse bereits im Heimatland“, „Sprachstandtests für Kinder“, „kombinierte Sprachförderung für Kinder und Eltern“, Ausländerämter zu „Willkommenszentren“ umbauen, „offizielle Beratungsmöglichkeiten ausbauen“, „Integrationslotsen“, „Personalausstattung der Ausländerbehörden verbessern“ , „Weiterbildungskurse zur interkulturellen Kompetenz“, „Informationsbroschüren in weiteren Sprachen“ ; „mehr Mittel zur Betreuung ausländischer“ Studenten ( im Originaltext: „Studierender“), „BAMF personell aufstocken“, „kostenlose Sprach und Integrationskurse“,“ Krankenkarte nach Bremer Modell“, „Fonds einrichten“…. „Kostenübernahme“…. und so weiter. Alles schön und gut gemeint, doch mancher Liberale wird sich die Augen reiben, denn er ahnt, dass bei diesem Schwindel erregenden Feuerwerk an Maßnahmen die Explosion der staatlichen Ausgaben zwangsläufig auf dem Fuße folgt.
Soll also die ohnehin schon rasant wachsende staatliche „Migrationsindustrie“ noch weiter aufgebläht werden? Ist das die Antwort der Freien Demokraten? Das liberale Credo einen schlanken Staates scheint für die FDP im Bereich „Einwanderung“ ebenso wenig zu gelten wie bei den politischen Mitbewerbern zur Linken. „Pauschalurteile verbreiten, Ressentiments schüren oder Ängste politisch instrumentalisieren“ wird abgelehnt. Zwar sei es „falsch, aus gut gemeinter Absicht Probleme zu ignorieren“, diese vielfältigen Probleme explizit anzusprechen unterlässt die Partei allerdings in ihrem Beschluss – wie auch im öffentlichen Diskurs – komplett. Doch auch Lindner weiß, dass bis zu den kommenden Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland- Pfalz noch hunderttausende Einwanderer nach Deutschland drängen werden. Er weiß auch, dass der Winter die Unterbringungsprobleme deutlich verschärfen wird und die zunehmend asylkritische Stimmung in der Bevölkerung sich weiter verschlechtern wird. So droht die FDP in polarisierten Wahlkämpfen zwischen Gutmenschen und Wutbürgern unbemerkt „hinten runter“ zu fallen. Da erscheint Lindners frommer Wunsch fast wie ein Stoßgebet, wenn er fordert: „Flüchtlinge sind kein Wahlkampfthema!“
Das werden die Wähler allerdings vermutlich anders sehen. Mit ihrer Positionsbestimmung nutzt die Partei das Einwanderungsthema vor allem aber auch zu Abgrenzung in Richtung AfD und „nach rechts“. Überhaupt scheint Lindner jeden auch nur Anfangsverdacht, die Partei könne „nach rechts rücken“ als größtes anzunehmendes Risiko zu sehen. Die Befürchtung: Mediale Schlagzeilen solcher Tonart könnten die verbliebenen und potentiellen „bürgerlichen“ Wähler abschrecken und der Partei den Todesstoß versetzen. Vielleicht ist so auch sein Austritt aus der Hayek-Gesellschaft zu verstehen. Vielleicht erklärt das auch die öffentliche Ausgrenzung ehemaliger AfD Mitglieder, deren Aufnahme in die FDP der Vorsitzende pauschal eine Absage erteilt. Dieses „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ mag politisch opportun sein, liberal ist eine solche Stigmatisierung sicherlich nicht. Es bleibt also spannend für die FDP und vor der Rückkehr in den Bundestag liegt vor Christian Lindner noch ein langer Lauf voller Fallstricke und Hindernisse.