Von Dr. Christoph Braunschweig
Laut Kurt Richebächer, einem der international bekanntesten Bankiers und Finanzexperten, hat die heutige Zeit die schlechtesten Ökonomen seit 200 Jahren. Die Volkswirtschaftslehre scheint tatsächlich auf dem Weg zu einer trostlosen Wissenschaft („Dismal Science“, Ira Katz).
„Wenn man sich anguckt, was die Ökonomen so alles vorausgesagt haben, dann sollte man ihnen nicht mehr zuhören. Noch nie hat sich eine Wissenschaft schneller in Luft aufgelöst. Es ist erschreckend zu sehen, wie wir immer wieder abfahren auf Prognosen, die sich in den meisten Fällen als falsch herausstellen …, die Ökonomen durchdringen ihr Fach einfach nicht mehr“, schreibt Erfolgsautor Rolf Dobelli.
Das schuldeninduzierte Wohlfahrtsstaatsmodell, eine ökonomisch unhaltbare Währungsunion und ein fehlkonstruiertes Geld- und Finanzsystem sind Problembereiche, an denen das westliche Demokratiemodell zu scheitern droht.
Die Schulden-, Finanz- und Eurokrise sind im Grunde die Folge einer seit Jahren andauernden krisenhaften Entwicklung in Politik und Gesellschaft. Es handelt sich um eine Krisis des dominanten Wirtschafts- und Lebensstils des westlichen Demokratiemodells. Doch selbst unter Ökonomen ist der wirtschaftspolitische Diskussionsrahmen extrem verengt.
Weil sich die Zunft der Ökonomen in den vergangenen Jahrzehnten allerdings zu wenig um das gekümmert hat, was jenseits von Angebot und Nachfrage liegt, kann sie sich kein Bild mehr von Wirtschaft und Gesellschaft in seiner Gesamtheit machen. Die Makroökonomie bewegt sich längst in einem rieseigen „szientistischen Leerlauf“ (Wilhelm Röpke) und kann mit all ihrer spitzfindigen Theorie und ihren beeindruckenden mathematischen Formeln und Modellen die Vielgestaltigkeit der wirtschaftlichen Wirklichkeit (Walter Eucken) doch nicht einfangen. Ihre makroökonomischen Standardmodelle sind sämtlich an den Klippen der Realität zerschellt.
Die Meinung, dass man mit irgendwelchen objektiven physikalischen Werteinheiten rechnen könne, verrät laut Wilhelm Röpke, nichts anderes als einen vollständigen Mangel an nationalökonomischer Bildung.
Ludwig von Mises lehnte die Anwendung der Mathematik in der ökonomischen Forschung rundweg ab, weil sie von falschen Annahmen ausgehe und zu fehlerhaften Schlussfolgerungen führe. Ludwig Erhard hat die „narzisstische Verliebtheit von Ökonomen in Dogmen und rechenhaften Methoden“ als unzureichend empfunden, weil die Wirklichkeit damit nicht erklärt werde.
Die Wirtschaftswissenschaften sind mehr und mehr zu einer „vermessenden Wissenschaft“ (Hans Jörg Hennecke) geworden. Insbesondere die Volkswirtschaftslehre ist zur Ökonomatrik degeneriert. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Wassily Leontief, selbst der Mathematik nicht gerade abhold, kommentierte den überzogenen Mathematisierungstrend treffend wie folgt: „Die ökonomischen Fachzeitschriften sind Seite für Seite mit mathematischen Formeln gefüllt, die dem Leser mehr oder minder plausible, aber völlig willkürliche Annahmen zu präzise formulierten aber irrelevanten theoretischen Annahmen zu präzise formulierten, aber irrelevanten theoretischen Schlussfolgerungen präsentieren.“
Man betreibt demnach einen regelrechten „Messbarkeitswahn“ der Wirtschaft, ohne sie wirklich zu verstehen.
Der Preis für den Perfektionismus der mathematischen Methode in den Wirtschaftswissenschaften ist die gefährliche Einengung des Gesichtsfelds. Die wirklich wichtigen Fragen nach subjektiven Wahrnehmungen, Wissen und Wollen der Menschen bleiben unberücksichtigt (Christian Watrin). Dies führt zu Sprachlosigkeit, Weltabgewandtheit und Selbstbezogenheit. „Heute, in einer Zeit der immer weiter vordringenden Staatsomnipotenz und Politisierung, ziehen sich manche Volkswirte in das Revier mehr oder weniger interessanter Spezialtheorien zurück und lassen die praktische Wirtschaftspolitik ratlos hinter sich zurück“, heißt es bei Hans Willgerodt.
LViele Ökonomen haben sich den Naturwissenschaften angenähert.
Lange Zeit verstand sich die Nationalökonomie als Universalwissenschaft. Doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts drehte sich der Wind. Die Ökonomie wurde vom Positivismus erfasst: Einzig klare, in Zahlen genau messbare Ergebnisse zählen nun. Die meisten Wirtschaftswissenschaftler sind zunehmend dem „Physikerneid“ (Claus-Peter Ortllieb) erlegen. Sie wollen demnach gerne Naturwissenschaftler sein, weil sie deren Präzision und Genauigkeit mittels mathematischer Rechenmodelle bewundern und fatalerweise als „wissenschaftlich höherwertig“ empfinden. Die Philosophie, Geschichte, Psychologie und Soziologie lehnen sie als zu schwammig ab und grenzen so ihr Fach nach außen ab. So wurde die Mathematik zum Missbrauchsopfer dieser einseitigen Art von Wirtschaftswissenschaft.
Roland Baader: „Viele der neueren Ökonomie-Lehrbücher sind voll von aalglatter, quacksalbernder Wissensfassade – noch gefährlicher aufgrund der Mathematik, die Genauigkeit und Richtigkeit vortäuscht. Naturwissenschaftler stehen oft die Haare zu berge, wenn sie die mathematische Selbstbefriedigung in ökonomischen Publikationen betrachten, die auf absurden Annahmen beruht und Phänomene beschreibt, die weder in der Natur noch in der Wissenschaft vorkommen. Oft genug ist auch die Mathematik schlampig, da Bedingungen zur Anwendung von Formalismen geflissentlich übergangen werden.“
Die Hyperspezialisierung vor allem der jüngeren Wirtschaftswissenschaftler erklärt ihre oft auffällige „Ignoranzkompetenz“ (Caspar Hirschi). Je kleinteiliger sie arbeiten, desto stärker sind sie den Kräften ihres eigenen Nichtwissens ausgeliefert. Mit ihren brillanten ökonometrischen Modellen beeindrucken sie sich lediglich gegenseitig und sammeln entscheidende Karrierepunkte durch entsprechende Veröffentlichungen in einflussreichen Journalen, die niemand liest, der tatsächlich Rat in wirtschaftspolitischen Fragestellungen sucht. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass sich gerade die jüngeren Wirtschaftswissenschaftler auffällig aus der aktuellen wirtschaftspolitischen Diskussion im Zeichen der Schulden-Finanz- und Eurokrise heraushalten. Ihre einseitige Überspezialisierung und „makroökonomische Kurvenklempnerei“ (Roland Baader) hat zu einem regelrechten Verdummungsprozess geführt.
War die Volkswirtschaftslehre früher gerade dafür bekannt, ein umfassendes Verständnis komplexer, fachübergreifender Zusammenhänge zu vermitteln, ist sie heute weitgehend in ein zusammenhangloses Spezialwissen – ohne erkennbaren Realitätsbezug – zerfallen.
Mit einem klassischen Studium im Sinne Humboldts hat das nichts mehr zu tun – offenbar gewollt. Der renommierte Theoriegeschichtler Marc Blaug stellt fest:“ Die moderne Ökonomik ist krank. Die Ökonomik ist zunehmend zu einem intellektuellen Spiel geworden, das nur um seiner selbst willen gespielt wird und nicht wegen seiner praktische Bedeutung für unser Verständnis der wirtschaftlichen Welt.“
Die Mainstream-Ökonomen hängen dem Irrglauben an, man könne Wirtschaft und Konjunktur berechnen und je nach Bedarf lenken und steuern. Sie betreiben mathematisierte Metaphysik statt Ökonomie. Für sie gilt der Ausspruch von Joachim Ringelnatz: „Der Stein der Weisen sieht dem Stein der Narren zum verwechseln ähnlich.“
Den Begriff Sparen haben sie durch den Begriff Kredit ersetzt.
Dass man sich allenfalls reich sparen kann, sich aber nicht reich konsumieren kann, ist ihnen nicht klar. Sie glauben ernsthaft, dass Sparen nicht mehr nötig sei, weil man ja beliebig Kredit durch „Deficit-Spending“ schaffen kann. Besonders auf dem Gebiet der Geldtheorie und Geldpolitik ist das Maß der Ignoranz der Mainstream-Ökonomen geradezu erschreckend. Wenn sie nicht dem Blendwerk der neoklassischen Gleichgewichtsmodelle sowie der „keynesianischen Irrlehre“ verfallen wären, dann wüssten sie, dass Inflation ein monetäres Problem ist, Deflation hingegen ein strukturelles und kein monetäres, weshalb Deflation (oder ganz generell: wirtschaftlichen Krisen) nicht monetär bekämpft werden können.
Die Vernachlässigung des Problems, die Produktionsstruktur (vor- und nachgelagerte Produktion, bzw. Investitionsgüter und Konsumgüterproduktion) durch relative Preise zu ordnen, ist die entscheidende Ursache für das Versagen der Mainstream-Ökonomen. Die Keynesianer erkennen nicht, dass die bisherige Instabilität der Marktwirtschaft eine Folge davon ist, dass die wichtigsten Regulatoren, nämlich Geld und Zins, ihrerseits von der Regierung vom Marktprozess ausgenommen sind. Die „Österreichische Kapital- und Konjunkturlehre“ besagt hingegen, dass eine zu hohe Geldschöpfung in Verbindung mit künstlich niedrigen Zinsen zwangsläufig zu Verzerrungen der Kapitalallokation und der Wirtschaftsrechnung führen, die letztlich der schmerzhaften Korrektur (Rezession) als notwendige Bereinigung bedürfen.
Die Mainstream-Ökonomen erkennen nicht, dass man Staat und Währung nicht trennen kann und sie verstehen schon gar nicht nicht, dass ihre ökonomisch unsinnige „Kaufkrafttheorie“, nach der z. B. höhere Reallöhne einfach vom Himmel fallen, im Endeffekt einzig die Staatsverschuldung zu immer neuen Rekordhöhen führt.
Die inzwischen erreichte Rekordverschuldung (trotz der historisch höchsten Steuereinnahmen!) und die ökonomisch unhaltbare EU-Währungsunion bedeuten für die Eurozone zwangsläufig entweder eine vor sich hinsiechende, subventionsgeplagte Wirtschaft nach japanischem Muster, oder eine serienweise Abfolge weitere Crashs, die sich kumulieren. Das staatliche, ungedeckte Papiergeld führt zu einer nicht-marktkonformen (nicht leistungsgerechten) Verteilung von Einkommen und Vermögen. Die Schuldenberge wachsen, doch für Goldman Sachs, George Soros und all die anderen Profiteure des ruinierten Weltfinanzsystems sind Finanzmärkte, auf denen sie mit staatlichem Monopolgeld jonglieren können, längst keine Märkte mehr, sondern höchst profitable Finanzierungsinstrumente überschuldeter Staaten (Christian Schwiesselmann). Frits Bolkestein, ehemaliger niederländischer EU-Kommissar: „Die Eliten profitieren, die einfachen Leute zahlen die Zeche.“
Die keynesianische Staatsverschuldungsmanie und Interventionsgläubigkeit der Mainstream-Ökonomen haben zwar langfristig fatale Folgen, aber sie leuchten dem Kioskbetreiber um die Ecke scheinbar ein, der glaubt, sein Wohlstand hänge vom Gesamtnahfragevolumen ab.
Der Erfolg von Keynes beruht einerseits auf dem ökonomischen Unverständnis der allermeisten Menschen, andererseits beruht sein Erfolg vor allem darauf, dass er (wenn auch unfreiwillig, weil nicht richtig verstanden) der Politik eine vermeintlich wissenschaftliche Rechtfertigung für ihre Machtstrategie der schamlosen Schuldenmacherei im Rahmen unserer zynischen Wählerbestechungsdemokratie liefert. Für die Politiker ist das Verteilen auf Pump, die Verschuldung zu Lasten kommender Generationen (nur auf der Grundlage des staatlichen Geldmonopols möglich!), wegen der sofort wählerwirksamen Auswirkungen über die Maßen verführerisch. Hier zeigt sich die kollektive Unvernunft von Wählern und Politikern, die sich in verhängnisvoller Weise voneinander abhängig zeigen. Der Wähler, der einerseits die Politiker verachtet, hält andererseits mit seinem naiven Anspruchsverhalten ihnen gegenüber genau diesen fatalen Teufelskreis in Gang.
Intellektuelle, Politiker und die machtloyalen Massenmedien versprechen die Machbarkeit ihrer sozial-sozialistischen Utopie, und die meisten Menschen folgen wie willige Schafe. Sie ziehen die öde sozialstaatliche Gleichmacherei und Überwachung durch die Sozialstaatsbürokratie der persönlichen Freiheit und Selbstverantwortung vor.
Warum so viele Ökonomen fatalerweise der Mainstream-Ökonomie nach keynesianischem Muster anhängen, liegt auch daran, dass fast alle Ökonomen entweder Staatsdiener sind, oder Angestellte bzw. Berater im Bereich der Bank- und Finanzindustrie. In den USA dominiert z. B. die Fed mit einem riesigen Netzwerk von Beratern, Dozenten, Schülern und angestellten Ökonomen das Gebiet der Ökonomie so vollständig, dass eine echte Kritik der keynesianischen Zentralbankpolitik ein Karriererisiko darstellt.
Seit Jahrzehnten hat die Fed die gesamte Berufssparte der Geldtheorie- und Geldpolitik-Ökonomen auf die eine oder andere Art und Weise auf ihrer Gehaltsliste. Wenn man zu den derzeit auf der Gehaltsliste stehenden Ökonomen diejenigen addiert, die in der Vergangenheit dort gelistet waren, dazu die Wirtschaftswissenschaftler, die Subventionen erhalten haben – und diejenigen, die auf zukünftige Subventionen hoffen, dann wird deutlich, dass es sich um die Mehrheit der amerikanischen Ökonomen-Zunft handelt.
Hinzu kommt, dass die Fed die Herausgeber akademischer Zeitschriften auf ihrer Gehaltsliste- und Unterstützungsliste hat. Ein wirklich kritischer Artikel würde in keiner einzigen maßgeblichen Fachzeitschrift veröffentlicht werden. Selbstverständlich stellt kein einziger Mainstream-Ökonom das staatliche Geldmonopol und das Zentralbankwesen in Frage. Darüber hinaus muss man wissen, dass es sich bei jeder Stellenbewerbung auf den Berufsfeldern der Ökonomen auszahlt, zeigen zu können, das man von der Fed geschätzt wird.
Die staatsfrommen Mainstream-Ökonomen wollen laut Murray N. Rothbard nicht wahrhaben, dass fast alle drückenden Probleme unserer Gesellschaft mit Tätigkeiten des Staates zusammenhängen.
Der Großteil der keynesianisch geprägten Lehrstuhl-Ökonomie der vergangenen Jahrzehnte war deshalb im besten Fall nutzlos und im schlimmsten Fall sogar sehr schädlich. In gewisser Weise haben die keynesianischen Mainstream-Ökonomen die Wirtschaftswissenschaften ideologisch funktionalisiert und in den Dienst ihrer eigenen, keynesianischen Irrtümer gestellt. Diesbezügliches Stromliniendenken findet nicht zufällig vor allem im Schlagschatten der Politik statt.
Insofern können es die Gegenspieler der keynesianisch geprägten Mainstream-Ökonomen, also die Vertreter der „Österreichischen Schule der Nationalökonomie“, fast als Auszeichnung betrachten, dass sie aus dem staatlichen Hochschulbereich und der internationalen Finanzindustrie weitgehend hinausgefegt worden sind.
Die Austrians brauchen nämlich weder vollständig rationale oder irrationale Menschen für die Erklärung des wirtschaftlichen Geschehens; ihr Denkansatz arbeitet mit Menschen, die nach den ewigen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten der Knappheit, der Knappheitsüberwindung und des Strebens nach Gewinn handeln, mit Menschen wie sie nun einmal sind.
Die Vertreter der „Österreichischen Schule“ haben sich nie die autistische Ökonomie ihrer Gegner aufzwingen lassen, in der mathematische Formalisierung zum Selbstzweck verkommen ist und imaginäre Welten modelliert werden, die mit der Realität nichts gemeinsam haben. Die „Österreichische Schule“ erstrebt stattdessen, ausgehend von der subjektiven Wertlehre, das Ziel, alle wirtschaftlichen Erscheinungen in einer geschlossenen Kausalkette auf entsprechende Vorgänge im Innersten der Menschen zurückzuführen. Ihre Methode wird deshalb auch als kausalgenetische Methode bzw. psychologische Methode bezeichnet. Sie bedient sich des Verfahrens der isolierenden Abstraktion und bevorzugt verbale Darstellungen.
Zentral für die „Austrians“ ist die Idee der Schöpfung von Wissen durch den Markt und die Betrachtung der dynamischen Unsicherheit wirtschaftlicher Abläufe. Die „Österreichische Schule“ bekennt sich vorbehaltlos zum Kapitalismus, meint damit aber etwas gänzlich anderes als den Status quo des maßlosen Scheinwachstums; sie meint vielmehr eine Ordnung, die den Kapitalaufbau für produktive Investitionen begünstigt, statt mittels Geld- und Kreditausweitung unsinnige Konjunkturprogramme zu initiieren. Sie behaupten nicht, dass Staatsschulden für das „Gemeinwohl“ verwendet würden – damit bekommt Verantwortungslosigkeit nur einen schöneren Namen.
Was heute Kapitalismus oder Marktwirtschaft genannt wird, ist in Wirklichkeit längst eine Art von Staatssozialismus mit einigen kapitalistischen, marktwirtschaftlichen Nischen.
Auszug aus dem Buch „Die Österreichische Schule der Nationalökonomie“
http://freiraum-magazin.com/2015/08/10/die-oekonomen-verstehen-nichts-mehr-von-der-wirtschaft/