Von Jürgen Stark
„Barbara Schöneberger gab dazu etwas, das man vielleicht ‚wandelnde Kumpeldiva’ nennen könnte, eine Figur, die in ihrer lockeren Krampfigkeit wirklich nur in einem Land erfunden werden kann, in dem Staatsanwälte auf Jan Böhmermann losgehen, wenn er einen Witz über einen Witz gemacht hat. Kein einziger Schöneberger-Gag zündete. Ach ja, und den David-Bowie-Gedächtnis-Song ‚Space Oddity’ ruinierten zielsicher ein paar A-cappella-Clowns. Und war schon von der sagenhaft amateurhaften Bildregie die Rede? Lassen wir es. Man möchte so etwas bitte nie, nie, nie wieder sehen und hören müssen. Bitte.“
„Tiefflug – Echo-Musikpreise“ von Jens-Christian Rave, Süddeutsche Zeitung, 8. April 2016
Wenn deutsche Medien derzeit über hausgemachtes Elend referieren, welches unser Land an vielen Stellen deutlich hässlich macht, dann wird es entweder tolldreist oder knallblöd. Nur wenige Kommentatoren erfassen noch ein Thema, fast immer schießt einem inzwischen der belehrende Zeigefinger entgegen, sozialpädagogische Besserwisser erklären dir alles und jedes – und das noch bevor sie den Gegenstand ihrer Anmerkungen überhaupt auch nur ansatzweise verstanden haben. Mediale Tristesse royal – das passende Gegenüber zum deutschen Show-Elend dieser Tage. Dabei benötigt kein Mensch große Erklärungen, um zu erfassen, zu sehen und zu hören, dass es mit der gegenwärtigen Unterhaltungskultur in diesem unserem Lande nicht weit her ist. German Entertainment hat sich mal wieder zurück entwickelt und spielt insbesondere im internationalen Rahmen keine der ersten Geigen mehr. Das gilt für Film, Musik, Theater und Literatur – because we are so political correct, that no one can understand us! It’s the german hypocrisis, stupid! Wenn Musterschüler die Welt retten ….
Germany – zero points! Was wir ja auch immer wieder beim Grand Prix d’Eurovision erleben können, das ist der mitunter geringe Beliebheitsgrad der deutschen Künstler auf internationaler Bühne. Das mag nicht immer fair sein (und ist es auch nicht), aber jetzt wird es noch viel schlimmer, denn bedeutungslos und auf unterem Level leicht glimmender Peinlichkeit, das ist brandgefährlich und bedeutet auch eine Krise des Zusammenhaltes der Szenen, eine Krise des Nachwuchses und eine mangelnde Akzeptanz beim Publikum. Der ECHO 2016 war insofern eine deprimierende Veranstaltung vor einem Massenpublikum, die einer Kapitulation glich. Denn immerhin die ARD bot die große Bühne für seichtes Zeug, für glattes Nichts, eine trostlose Aura und eine Moderation, die das Sinnbild der Berliner Republik ist: Hurra, wir feiern uns alle selbst, wir alle, die wir irgendwie etabliert, saturiert und geistig abgestumpft und superarrogant sind und in Berlin unsere Inzucht ganz toll genießen.
Wir hier oben, wir wissen, was witzig, was erlaubt, was gewünscht ist und was gesendet werden darf. Selbst der chinesische Nationalzirkus im linkstotalitären China bietet mehr Erlebnis, mehr Waghalsigkeit, mehr Aufregung, als das, was das fade Deutschland unter dem Vorzeichen des ewigen Musterschülers, der nur noch politisch superbrav sein will, inzwischen noch zu bieten hat. Das große Problem: Fast alle Kritiker am langweiligen, biederen und unspektakulären ECHO 2016 sabbeln und brabbeln komplett am Thema vorbei, was die Lage deutlich verschlimmert! Der ECHO 2016 reflektierte Land und Zustand desselben anno 2016, denn Pop reflektiert Gesellschaft, moderne Musikstile und Lieder sind Ausdrucksformen der von Künstlern wahrgenommenen Impulse des Lebens, Erlebens, Beobachtens, Ahnens und Fühlens. Künstler sind unsere siebten Sinne, egal, ob sie David Bowie oder Udo Lindenberg heißen. Wenn es dann auf der Bühne im milden Frost so arglos vor sich hin stinkt, dann ist die Kulisse im Eimer, dann ächzt das Gebälk der Republik, dann ist die Gesellschaft samt ihre Eliten morsch und marode, dann ist Totentanz, dann fällt auch dem talentiertesten deutschen Supertalent schließlich nichts mehr ein …
„Seit mittlerweile 25 Jahren lädt der Bundesverband der deutschen Musikindustrie zur öffentlichen Betriebsfeier, nennt es Echo, lässt die ARD stundenlang übertragen und verleiht dann den Bands und Sängern Preise, die sich im vergangenen Jahr am besten verkauft haben. Das Problem ist nur, dass die Popmusik, die hierzulande viele Menschen gut finden, leider – und in Zeiten, in denen es auch mal zu rein deutschsprachigen Alben-Top-Ten kommt, vielleicht sogar mehr denn je – reiner Schund ist. Und zwar auch und sogar, wenn man sehr niedrige Maßstäbe ansetzt. Man kann das nicht anders sagen.
Oder kann jemand, der nur ein bisschen mehr von Musik versteht als etwa die Moderatorin des Abends, Barbara Schöneberger, ernsthaft Preisträger und/oder Auftretende wie Pur, die Puhdys, die Prinzen, Christina Stürmer, Lena, Helene Fischer, Alex Christensen, Freiwild, Enya, die Scorpions, Mark Forster, Roland Kaiser, Andreas Bourani, Joris, Sarah Connor und so weiter als herausragenden zeitgenössischen Pop verstehen? Als Pop, für den man sich nicht eigentlich in Grund und Boden schämen müsste?“
„Tiefflug – Echo-Musikpreise“ von Jens-Christian Rave, ebenda
So alle anwesenden Künstler frontal abzuwatschen ist nicht gerade fair, denn was sollen sie schon berichten und künstlerisch interpretieren, aus einem geistig toten Land, welches bei jeder Diskussion hauptsächlich folgenden Fragestellungen nachgeht: Darf DER das sagen, darf MAN das überhaupt sagen, was dürfen und müssen wir DENEN antun, weil DIE das gesagt haben?!!! Nein, der ECHO liefert weitgehend die aktuellen Kassenschlager ab, die Verkaufsknüller, was derzeit irgendwelches Tralala aus Beliebigkeitslandistan mit immer geringeren Umsatzzahlen ist. Innovation und Avantgarde sind in einem zunehmend totalitär anmutenden Mainstream-Kontrollstaat unter politisch-juristischer PC-Aufsicht, flankiert von ca. 80 Gender-HochschulprofessorXXX, doch gar nicht mehr möglich – wenn denn ALLE mitmachen! Merkels singende GroKo-Volksfront kann doch nur absolut doof klingen, denn Nullidentität ist mit Rock’n’Roll unvereinbar! Geistiger Stillstand klingt einfach beschissen. Punkt.
„Genauso muss man sich übrigens die Frage stellen, weshalb die ARD, die dieser Veranstaltung mit einer Liveübertragung zur Primetime eine große Aufmerksamkeit schenkt, so seltsam unbeteiligt blieb. Als der Sänger Xavier Naidoo für Deutschland beim Eurovision Song Contest (ESC) in Stockholm auftreten sollte, zog der Sender seinen Vorschlag nach Protesten schnell zurück. In diesem Fall stellte die ARD für Frei.Wild sogar das Programm um, damit die Band noch zu einem anderen Auftritt fahren konnte.“
Jonas Leppin, CvD bei Spiegel Online, 8.4.2016
Es bleibt in diesem Reigen der vernichtenden Kritik natürlich wieder dem immer steiler abstürzenden Spiegel vorbehalten, sich erneut als historisch reichlich verspätete „Antifa“ zu präsentieren. Mit Schaum vorm Maul. Weil eine Band, die nicht weniger rechtsradikal als die Böhsen Onkelz war und ist, nun mal eine der immer unbedeutenderen Echo-Verleihungen abbekam und als eher konservativ, heimatverbunden und weniger LINKS gilt. Dass der der Antifa durchaus nahe stehende Autor Klaus Farin (u.a. Berliner Arciv der Jugendkulturen) die Südtiroler Band Frei.Wild längst offiziell freigesprochen hat(te), interessiert die linksmoralapostolischen Hexenjäger bei ihrem allerletzten Gefecht natürlich nicht. Spiegel-Hexenjäger Jonas Leppin hat diese stalinorgelnde Verbissenheit im Duktus, die man eigentlich in meinungsfrohen und streitfreudigen Demokratien überhaupt nicht gebrauchen kann. Xavier Naidoo wird von ihm nochmals abgewatscht und dessen „Eliminierung“ erneut vollstreckt – eine Schande für das einstige „Sturmgeschütz der Demokratie“, welches heute nur noch ein publizistischer Schlappschwanz ist. Frei.Wild hätte man von der Bühne jagen, gar nicht erst zulassen, beschimpfen und dann mit Berufsverbot und möglichst noch lebenslanger Haft doch wenigstens etwas zur Räson bringen müssen – so spricht ein Bruder im Geiste der Honeckers und der Mielkes.
Was für ein rasender Faschismus des Guten, Maos Kulturrevolution is here to stay! Die Schuldigen sind gefunden! Was natürlich totaler Quatsch ist und alles auf den Kopf stellt. Diese moralinsaure Kleingeisterei mit der von den linken Inquisitoren der „Tatort“ gegendert und die Filmförderung auf Linie gebracht werden, welche die Katzenromane des deutsch-türkischen Autors Akif Pirincci aus dem Verkehr ziehen, weil man einen politisch Andersdenkenden im 21 . Jahrhundert in Deutschland schon wieder existenziell vernichten muss, diese Pöbeleien gegen einen Xavier Naidoo, weil der sich erkennbar nicht von linksorientierter Politik gut und richtig vertreten fühlt, diese Armseligkeit, als unlängst der IS-Terror in Paris gegen ein Rockkonzert zuschlug und unsere linke Schickeria in Kulturforen, auf Social Media und in Ministerien sich über die deutsche Solidarität mit französischen Nationalflaggen (!!!) echauffierte – denn nationale Flaggen sind für Internationalsozialisten gefährlicher als islamistische Verbrecher – all dieses begünstigt ein miefiges und piefiges Klima in Deutschland, welches Freigeistigkeit abwürgt, vor allem in Kunst und Kultur.
„Und der Rapper Kollegah hatte recht, als er sich beschwerte, dass der deutsche Rap mit ihm erst zum Schluss ausgezeichnet werde, obwohl es doch das am schnellsten wachsende Genre im Lande sei. Vor allem ist es allerdings eines der ganz wenigen deutschen Mainstreampopgenres, dem in Zukunft noch eine Entwicklung zum Guten zuzutrauen ist.“
„Tiefflug – Echo-Musikpreise“ von Jens-Christian Rave, ebenda
Komisch wird die Kritik am Programm des ECHO allerdings dann, wenn an irgendeinem Ende noch so etwas wie musikalische Intelligenz und künstlerische Klasse unterstellt wird. Das ist in etwa so, als würde man warmes Bier am Strand servieren und behaupten, dass wäre dann doch schon mal was. Kollegah, der Rapper. Gähn. Diese Stilrichtung ist seit nunmehr 40 (!) Jahren Jugendkultur. Schnarch. Auffällig blieb an dieser Stilistik vor allem oft das Hoffähigmachen des Asozialen, die Attitüden goldkettchenbehängter Zuhälter und das Faible für nicht selten schießwütige Gangsterei – Sprachgedaddel für Minihirne mit dicken Bizeps. Nichts gegen die eindeutig besseren Kurtis Blow und Fettes Brot, aber irgendwann ist das auch in Höchst- und Bestform nichts wirklich aufregendes mehr – schon gar nicht in einem geistig verwirrten und hilflosen Deutschland der Megaanpassung!
In der Tat könnten Leute, die von der Sprache und den Texten mehr leben als andere, interessante Geschichten erzählen, Gegenöffentlichkeit herstellen. Aber dann müsste man wenigstens schlüssig erklären können, warum Angela Merkel im Falle Böhmermann beim türkischen Sultan Erdogan kuscht und dackelt. Warum wir über die Grenzen der Satire diskutieren, statt die Grenzenlosigkeit der Künste zu besingen. Eben. Wenn man das nicht erklären kann, dann reicht es eben nur für 40 Longdrinks bei der Echo After Show Party, wo sich alle auf die Schultern klopfen, ihre Kohle zählen und sich gegenseitig versichern, wie toll sie sind, immer schon waren und auch nächstes Jahr wieder sein werden. Draußen interessiert das naturgemäß keinen. Echo ist eben vorne wie hinten tote Hose. Auch wenn Campino diesmal gar nicht die Kanzlerin bejubeln durfte. Licht aus.
http://www.sueddeutsche.de/kultur/pop-tiefflug-1.2940671
https://www.musikexpress.de/die-allerpeinlichsten-momente-beim-echo-2016-520925/
http://www.sueddeutsche.de/medien/echo-verleihung-setzt-beim-echo-endlich-auf-qualitaet-1.2940572