Von Wolfgang Hübner
Es gibt eine ganze Menge gute Gründe, den türkischen Staatspräsidenten Erdogan zu verachten oder zum Teufel zu wünschen. Der demokratisch legitimierte Quasi-Diktator in Ankara, der in letzter Zeit drauf und dran ist, der beste Freund von Angela Merkel zu werden, hat schon in der Vergangenheit bei seinen Deutschland-Besuchen mit unverschämten Auftritten berechtigte Empörung bei vielen Menschen hierzulande ausgelöst. Allerdings war bislang keine Bundesregierung bereit, darauf mit offenem Widerspruch oder gar mit einem Rausschmiss zu reagieren. In Deutschland werden nämlich bestimmte Ereignisse bis weit über die Schmerzgrenze toleriert, also geduldet.
Erdogan ist da jedoch von ganz anderem Kaliber. Seine Regierung hat folglich nun auch offiziell die Einleitung eines Strafverfahrens nach Paragraph 103 des Strafgesetzbuches gegen den „ZDF-Satiriker“ Jan Böhmermann gefordert. Der hatte in einer Sendung ein Schmähgedicht gegen den mächtigen Türken vorgetragen, in dem Erdogan mit allerlei Verbalinjurien bedacht wurde, die nicht nur nach Meinung der Bundesregierung „bewusst verletzend“ formuliert waren.
Wenn Berlin keinen folgenreichen Konflikt mit der Türkei riskieren will, wird sie wohl dem Strafverfahren zustimmen müssen. Und der aktuelle Grimme-Preisträger und „leidenschaftliche Medienmacher“ (Saarlands Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer) könnte schon bald zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe verurteilt werden. Dann würde Böhmermann nicht nur für die dominante linksliberale Mehrheit in den Medien und der Gesellschaft endgültig das werden, was er für viele anscheinend schon jetzt ist, nämlich ein Held, ja sogar eine Art Märtyrer der Meinungs- und Kunstfreiheit in Deutschland.
Das aber wäre zu viel der Ehre für einen hochbezahlten Medienclown, der keineswegs besonderen Mut mit dem Erdogan-Gedicht bewiesen hat, sondern einfach politisch nur allzu „korrekt“ war und gerade deshalb jetzt zum Ärgernis geworden ist. Denn neben Putin, den der „ZDF-Satiriker“ auch schon mehrmals auf seine grenzwertige Weise zum Thema gemacht hat, sowie der AfD und Pegida ist Erdogan das Lieblingsobjekt der Verachtung von Böhmermann sowie all jener, denen es nie in den Sinn käme, Bundeskanzlerin Merkel, Bundespräsident Gauck oder gar den Islam im gleichen Stil beleidigend zu attackieren.
Bei Putin hat Böhmermann bislang Glück gehabt, offenbar ist der perfekt deutsch sprechende Russe souverän genug, sich nicht größer an den Auslassungen des Spaßmachers zu stören. Und die AfD und Pegida dürfen in den öffentlich-rechtlichen Anstalten sowieso nach Herzenslust durch den Kakao gezogen, beleidigt und diskriminiert werden, ohne dass jemand dafür Folgen zu befürchten hätte. Aber wie schon gesagt: Erdogan ist da von ganz anderem Kaliber. Der neue Sultan nimmt auch grenzüberschreitend übel, insbesondere nach dem fatalen Flüchtlings-Deal mit der in die Enge getriebenen Merkel-Regierung. Seitdem sitzt Erdogan am längeren Hebel und lässt das seine Partner erwartungsgemäß auch spüren.
Nicht nur Linksliberale, sondern auch Menschen aus dem konservativen und freiheitlichen Lager sind versucht, aus Abscheu gegenüber Erdogan sich auf die Seite von Böhmermann zu stellen. Dafür gibt es jedoch keinen nachvollziehbaren Grund: Das Schmähgedicht auf den türkischen Staatspräsidenten ist tatsächlich primitiv, beleidigend und verletzend. Es bedürfte nicht eines durchaus fragwürdigen Paragraphen im Strafgesetzbuch, um einen solchen Text („Ziegenficker“) ungut zu heißen.
Die Meinungsfreiheit hat mit Recht dort Grenzen, wo ein Mensch, und heiße er Erdogan, bewusst und gezielt entwürdigt wird. Denn, so lautet es im Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Man kann, ja muss die brutale Politik des türkischen Politikers in aller Schärfe angreifen, das mag und soll auch in satirisch zugespitzter Weise geschehen. Aber in Böhmermanns Schmähgedicht wird nicht nur der Politiker, sondern der Mensch Erdogan in seiner Ehre verletzt. Und in der Beziehung haben Türken bekanntlich noch einen ganz anderen Ehrbegriff als in Deutschland mittlerweile üblich.
Böhmermann kann sich auch nicht auf die Freiheit der Kunst berufen. Abgesehen davon, dass es eine ziemlich freche Anmaßung ist, solche Vulgärsatire als Kunst zu bezeichnen: Selbst die Kunst darf nicht alles; sie darf jedenfalls nicht zum Vorwand missbraucht werden, um Menschen zu beleidigen und zu entwürdigen. Deshalb hätte übrigens schon eine Berliner Theaterproduktion, in der AfD-Politiker in menschenverachtender und hetzerischer Weise attackiert wurden, aus dem Programm genommen werden müssen.
Doch da hat kein Erdogan protestiert und damit ganz schnell erreicht, dass das Böhmermann-Schmähgedicht nirgendwo mehr zu sehen und zu hören ist. Dagegen sind die Ausfälle des „ZDF-Satirikers“ gegen die AfD oder Putin wiederhin problemlos zu finden. Denn damit hat Böhmermann die Vorgaben der „Politischen Korrektheit“ keineswegs verletzt, sondern in geradezu vorbildlicher Weise erfüllt. Das Problem mit dem Schmähgedicht ist allerdings: Im Übermut, auch dem in Deutschland herzlich ungeliebten Türken politisch korrekt eins überzubraten, hat Böhmermann völlig verkannt, dass Erdogan nicht nur empfindlich ist, sondern nun dringend politisch gebraucht wird und das auch sehr gut weiß.
Gleichwohl muss der „leidenschaftliche Medienmacher“ keine Angst um seine Zukunft haben. Außer einer symbolischen Strafe, wenn überhaupt, und einem vorläufigen Einreiseverbot in die Türkei wird ihm kein Schaden entstehen. Und Böhmermann, da kann man sicher sein, wird sich künftig wieder nur noch an denen schadlos halten, die keinen Erdogan im Rücken haben. Das sind vorrangig alle Deutschen, die politisch unkorrekt sind, die also im Verdacht stehen, AfD zu wählen, und die nicht akzeptieren wollen, dass der Islam zu Deutschland gehört. Die wohlfeile Attacke auf (noch) in der Minderheit befindliche Bevölkerungsteile war bislang das Rezept Böhmermanns. Dazu wird er nach der ernüchternden Erdogan-Erfahrung reumütig zurückkehren. Weitere Grimme-Preise sind dann garantiert.
Die ganze Affäre hat aber noch eine tiefere Dimension. Sie verrät nämlich viel über den geistigen Zustand im Staat des moralischen Imperialismus, also im Deutschland der Gegenwart. Dieser moralische Imperialismus will am liebsten die ganze Welt am Gutmenschentum genesen lassen. Im Ausland hat man die Verlogenheit und Selbstüberschätzung dieser Anmaßung schon längst durchschaut, schüttelt mehr oder weniger fassungslos den Kopf darüber oder findet mal wieder alle Vorurteile über das spezifische deutsche Wesen bestätigt.
Im eigenen Land aber glauben noch immer nicht wenige, Politik lasse sich durch waghalsige Gesinnungsbeweise wie die Öffnung der Grenzen gestalten oder gar ersetzen. Die Bundeskanzlerin hat das inzwischen in die beschämende und demütigende Abhängigkeit von Erdogan gebracht. Das wäre gewiss ein fruchtbares, geradezu zwingend naheliegendes Thema für den „ZDF-Satiriker“ gewesen. Doch das hat er sich nicht getraut. Böhmermann wollte stattdessen sein Gutmenschentum an dem türkischen Sultan abreagieren. Nun hat er sich nicht nur selbst, sondern auch Angela Merkel in eine schwierige Lage gebracht, die ohne Prestigeverlust wohl nicht mehr gelöst werden kann.
Mitleid ist nicht angebracht, für keinen von beiden. Denn moralisierende „Wir schaffen das“-Selbstüberschätzung kommt letztlich ebenso zu Fall wie feig-peinliche Medienattacken, wenn die sich den Falschen ausgewählt haben. Es wird noch etwas dauern, bis diese Lektion in Hell-Deutschland begriffen sein wird. Immerhin hat ausgerechnet Erdogan dazu einen Beitrag geleistet.
Sehr gut dazu auch das Interview mit Akif Pirinçci in der „Jungen Freiheit“: