Kommentar zur Diskussion um „Designer-Babys“ von Dennis Riehle
Ja, irgendwie ist es verletzend. Ständig lesen wir davon, wie vehement sich unsere Gesellschaft „perfekte“ Menschen wünscht. Besonders dann, wenn man nicht den Eindruck gewinnt, „perfekt“ zu sein, kann solch eine Haltung schnell einmal zermürben. Vor kurzem fragte ich meine Mutter: „Hättest du mich auch auf Gendefekte untersuchen lassen ? Und wenn du damals schon gewusst hättest, dass ich die Erkrankungen und Behinderungen haben würde, die ich nun heute mit mir herumschleppe, hättest du mich dann dennoch gewollt?“. Eigentlich war die Frage unnötig, denn ich kenne meine Mutter. Und sie liebt mich. So, wie ich bin. Aber ihre Antwort verblüffte mich doch: „Für mich bist du perfekt!“. Damit war eigentlich alles gesagt. Zumindest von ihrer Seite. Dass es in unserem Land offenbar ganz anders aussieht, erleben wir an den fortdauernden Diskussionen darüber, wie es die Wissenschaft erreichen könnte, baldmöglichst alle angeborenen Krankheiten, Behinderungen und ungewollten Haarfarben, Körpergrößen und Gewichtsklassen zu verhindern. Der Traum von einem Baby kommt dann zur Welt, ohne Ecken und ohne Kanten.
Unter dem Vorwand, Eltern wollten ihren Kindern kein Leid zumuten, wird die Forschung vorangetrieben, möglichst in oder gar noch vor dem Mutterleib darauf Einfluss zu nehmen, was das Neugeborene später einmal haben soll – und was eben nicht. Stellen wir uns vor, welche psychischen Auswirkungen das auf die Kleinen haben wird, spätestens, wenn der Zeitpunkt kommt, an dem sie selbst über sich bestimmen möchten. Da wurde ein Sohn oder eine Tochter geschaffen, nach Wunsch der Eltern. Man muss sich nicht einmal vorstellen, was ist, wenn der Vater braune, die Mutter aber lieber blaue Augen gehabt hätte. Viel eher wird ein Ebenbild ausgemalt, von dem sich das Kind später nur noch schwer lösen kann. Was heute schon zu Problemen führt, wird dann als ein nahezu kaum möglicher Abnabelungsprozess zu mangelndem Selbstbewusstsein und fehlender Eigenverantwortung führen. Zudem wissen wir bereits jetzt, welche Folgen solch Modelmaße auf die Persönlichkeit haben können. Ein idealisierter Stereotyp, der geschliffen ist – und dabei nicht nur langweilig bleibt, sondern vor allem unselbstständig.
Das wird auch daran liegen, dass Erfahrungen fehlen. Denn wodurch werden wir stark? Durch die Niederlagen in unserem Leben. Wobei ich weder Krankheit, noch eine Behinderung so bezeichnen würde. Ja, eine Herausforderung sind sie. Das merke ich jeden Tag neu. Meine Gene verstehe ich nicht, ich weiß nur, dass sie nicht so funktionieren wie bei anderen Menschen. Gut, ich hätte mir durchaus andere Merkmale gewünscht, um mich abzugrenzen. Aber glücklicherweise habe ich die auch. Denn meine Mutter hat der Natur freien Lauf gelassen – wie groß, wie schwer ich werde, wie ich aussehe, welche Eigenschaften ich habe. Und davon habe ich, so sagte sie, doch einige gute. Das liege auch daran, dass ich etwas „durchgemacht“ habe. Zweifelsohne: Erkrankungen sind nicht immer einfach. Sie verlangen uns viel Durchhaltevermögen ab – und sie bringen auch diesen Leidensdruck mit, den die Moderne der künftigen Generation ersparen will. Doch woher nimmt sie dann ihre Kraft, durchzuhalten? Wer schon einmal im Tief gewesen ist, der weiß einerseits um die Tränen, um die Fragen des „Warums“, um die Bitterkeit von Hilflosigkeit und Perspektivlosigkeit. Aber eben auch um dieses Gefühl, wie wertvoll es ist, weiterzumachen.
Viele meiner Charaktermerkmale hätte ich heute nicht, wäre mein Leben wie eine Linie verlaufen. Ich könnte mich nicht aus tiefstem Herzen freuen, aber auch nicht mit anderen mitspüren. Ich wäre nicht so gelassen, würde mich nicht an so vielen Kleinigkeiten freuen, wäre wohl viel oberflächlicher, kaum einfühlsam und könnte nicht zuhören. Krankheit formt – und sie gibt uns überhaupt erst eine Struktur. An ihr kann man anstoßen, an ihr feilt man täglich weiter. Man darf sich an ihr reiben und sie macht uns einzigartig. Da werden wir nicht zusammengesetzt wie aus dem Baukasten, sondern die Kurven malt unser lebendiges und praktisches Auf und Ab. Ja, Behinderungen hinterlassen einen Makel. Doch warum maßen wir uns an, diesen mit einer ständig negativen Konnotation zu versehen? Das, was ich als Freude empfinde, muss für mein Gegenüber noch lange keine sein – und umgekehrt. Weshalb soll ein Kind mit einer Trisomie also nicht glücklich sein? Nur, weil wir davon überzeugt sind, dass es nicht glücklich sein kann, nicht glücklich sein darf – weil es eben nicht so ist, wie wir uns das erhoffen? Welch Egoismus steckt hinter einem solchen Denken, bei dem wir immer nur von uns selbst ausgehen! Ein Leben im Rollstuhl ist schwierig – aber ist es deshalb nicht lebenswert? Jeder wird es anders betrachten – und schon gar, wenn wir der Rennläufer auf zwei gesunden Beinen sind.
Sobald wir meinen, wir müssten Babys designen, um ihnen ein gesundes Aufwachsen zu garantieren, dann maßen wir uns nicht nur an, in die Integrität des noch Ungeborenen – das aber bereits zum Zeitpunkt unseres Manipulierens ein Recht auf Selbstbestimmung hat – einzugreifen. Wir meinen auch, beurteilen zu können, wie es ist, mit bestimmten Beeinträchtigungen existieren zu können. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – ja, die eines Embryos, und auch die jedes einzelnen Menschen mit Behinderung, Krankheit und all den persönlichen Details, die uns prägen. Eltern überschreiten Grenzen, wenn sie versuchen, ein vermeintlich „perfektes“ Leben für ihre Kinder zu wollen. Es ist nicht „das Beste“ für die Kleinsten, wenn sie als sterile Barbie-Puppe auf die Welt kommen. Viel eher drücken sich Mama und Papa mit der Entscheidung für ein Baby nach eigenen Wünschen vor der Aufgabe, es mit den notwendigen Fertigkeiten auszustatten, Leid er-tragen zu können. Wer früh genug auch einmal im Dreck spielt, baut sich einen Schutz gegen Keime und Bakterien auf. Und wer mit den Lasten des Daseins hadert, der entwickelt Kräfte, auch andere Hürden zu meistern.
Jeder von uns ist unterschiedlich. Das macht die Vielfalt aus, die unser Leben erst abwechslungsreich werden lässt. Ich will nicht unterstellen, dass derjenige, der für eine scheinbare Gesundheit seiner Nachkommen eintritt, den Wert eines Menschen mit Krankheit, Behinderung und Andersartigkeit anzweifelt. Es macht aber stutzig, wenn krampfhaft versucht wird, mit dem eigenen Kind von etwas abheben zu wollen – von der bemitleidenswerten Härte, die der mit Handicap auf sich nehmen musste, vielleicht? Wenn es etwas gibt, was mich richtig wütend macht, dann ist es der herabschauende Blick – getreu dem Motto „Ach, du armes Ding“. Denn ich bin alles Andere als „arm“, viel eher „reich“ an Überzeugung, dass Lebendigkeit nicht an Erkrankung oder Handicap, nicht an Augenfarbe oder Armlänge ausgemacht werden kann. Wie viele Menschen mit Schicksalsschlägen sind an ihren Abgründen gewachsen – sie waren meist die, die am erfülltesten in der Gesellschaft wirkten. Wie schön wäre doch ein Miteinander, in der nicht die Oberflächlichkeit derer gewinnt, die als selbsternannte Retter dastehen wollen, sondern die Zuversicht derjenigen, die darauf vertrauen, dass nicht alles gut ist, was der Mensch macht…