Von Thomas Böhm
Die „Bild“ macht heute mal wieder mit einer „Geheimsache“ auf, die in Wirklichkeit gar keine ist:
VERTRAULICHE STRATEGIE-PAPIERE – AfD sieht große Teile der Gesellschaft „als Zielscheibe“
Streng geheime Kommandosache in der AfD-Zentrale: Die Rechtspopulisten bereiten hinter den Kulissen schon unter Hochdruck den Bundestagswahlkampf 2017 vor!
Das beweisen zwei Geheimpapiere, die BILD vorliegen. Demnach sucht die AfD schon eine PR-Agentur, die sie bis zur Wahl im September nach allen Regeln der Kunst vermarktet. Es sei „erforderlich, sich zu professionalisieren“ und „notwendige externe Beratung“ anzuheuern, heißt es im vertraulichen Sitzungsprotokoll einer neuen AfD-Strategiekommission. Eine erste Bewerbung der PR-Agentur des früheren US-Präsidentschaftsbewerbers Ron Paul wurde vom Vorstand nach BILD-Informationen aber abgelehnt („zu amerikanisch“).
Kurzfristig sollen zusätzlich „festangestellte Positionen“ geschaffen werden, „die in der Lage sind, Öffentlichkeitsarbeit (PR) und das Marketing für die Partei als Dienstleister zu übernehmen“. Schwerpunktmäßig gesucht werden Profis, „die in der Lage sind, externe wie interne Mitarbeiter (…) zu steuern.“ Das erklärte Ziel: „die Kommunikation der Partei gegenüber ihren externen und internen Zielgruppen (…) zu verbessern.“…
Das ist natürlich alles andere als geheim. Das ist ganz normal für eine Partei, die sich für einen Bundestagswahlkampf, bei dem es für Deutschland wohl um alles geht, gut aufstellen will. Andere Parteien machen das auch:
CDU-Regierungschefin Angela Merkel wird im Wahlkampf von einem ehemaligen Wahlkampfmanager ihres Vorgängers Gerhard Schröder (SPD) beraten. Seit rund drei Wochen ist die Agentur „Blumberry“ nach Informationen von „Bild am Sonntag“ für den CDU-Wahlkampf zuständig. Der Chef der Firma, Lutz Meyer, arbeitete 1998 für die SPD-Wahlkampfzentrale Kampa.
Von 1998 bis 2000 war Meyer dann Sprecher von SPD-Innenminister Otto Schily. Im Wahlkampf 2001/2002 arbeitete er erneut für die Kampa: Als Büroleiter des SPD-Wahlkampfmanagers Matthias Machnig. Auch damals gewann die SPD die Bundestagswahl…
Die SPD braucht dringend eine gute Kommunikationsstrategie, denn die Beliebtheit von Kanzlerin Angela Merkel, die die Union konstant über 40 Prozent hält, ist übermächtig. Mit Werten zwischen 23 und 26 Prozent gelten die Sozialdemokraten faktisch als chancenlos im Rennen um das Kanzleramt – was noch nicht einmal in den eigenen Reihen schöngeredet wird. So riet der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig seiner Partei, gar nicht erst einen eigenen Kanzlerkandidaten zu nominieren, weil es sowieso sinnlos sei, die übermächtige Amtsinhaberin herauszufordern.
SPD-Chef Sigmar Gabriel sieht das naturgemäß anders. Er heuerte Thomas Hüser, Leiter und Inhaber einer PR-Agentur in Essen, mit dem Auftrag an, Albig und der Öffentlichkeit das Gegenteil zu beweisen. Soweit so normal – wäre Hüser nicht ein bekennender Konservativer, der sich in der katholischen Kirche engagiert, einer Institution also, die wie die SPD Mühe hat, ihre Klientel bei der Stange zu halten. Gabriels neuer Berater ist Sprecher des bischöflichen Rates für Wirtschaft und Soziales des Bistums Essen. Focus-Chefredakteur Ulrich Reitz meinte über den PR-Profi: „Dass Hüser christdemokratisch denkt, ist für Gabriel kein Hindernis; sozialdemokratisch sind im Revier schließlich schon alle anderen.“…
Dass sich eine Partei um so viele Wähler wie möglich kümmern will, um in den Bundestag zu kommen, ist ja wohl auch normal, so etwas liegt im Wesen einer Partei. Wenn man sich lediglich auf eine ganz spezielle Wählerschicht konzentrieren würde, wären die Chancen logischerweise geringer, im Wahlkampf irgendetwas zu reißen. Für die „Bild“ aber ist das im Fall der AfD anscheinend auch „alarmierend“:
…Im AfD-Bundesvorstand kursiert außerdem ein geheimes Taktik-Papier („Wesen und Charakter einer erfolgreichen AfD“, liegt BILD vor). Demnach überlegt die AfD-Führung, sich im Wahlkampf an „Wähler aus allen sozialen Schichten, Altersgruppen und Teilen Deutschlands“ zu wenden, die den „grün-rot dominierten `Zeitgeist´“ sowie etwa das „Asylchaos“ ablehnen. Im Visier hat die AfD insbesondere Protestwähler, Nichtwähler und „kleine Leute in sog. prekären Stadtteilen, die sich dem dortigen Trend zur Ausnutzung von staatlichen Transferleistungen und zur Verwahrlosung entgegenstellen“.
Aber: Auch „bürgerliche Wähler mit liberal-konservativer Werteorientierung“ will die AfD demnach unbedingt anlocken! Dabei handele es sich um „Eltern, leistungsorientierte Arbeitnehmer, Schüler und Studenten, Mittelständler und Gewerbetreibende“, die es den „Altparteien“ nicht mehr zutrauen, Lösungen für Problemfelder wie „Zuwanderung, Kriminalitätsbekämpfung, Steuerabzocke, Bildungsmisere, Ausbeutung der Familien und Genderwahn“ zu finden, steht in dem für die Volksparteien Union und SPD alarmierenden Taktik-Papier…
Dass das nicht unbedingt ein Alleinstellungsmerkmal der AfD ist, erkennt man hier:
Im „Maschinenraum der Sozialdemokratie“, mitten im Revier, sucht Sigmar Gabriel Verbündete für seinen „Solidarpakt für Deutschland“. Bei den Gelsenkirchener Gesprächen der NRW-SPD erneuert der SPD-Chef im Angriffsmodus seine Forderung, die Einheimischen bei der Finanzierung der Einwanderer nicht zu vergessen. Die 200 Funktionäre im Pott geben Gabriel dankbar Rückendeckung. Die Genossen sind verunsichert: Nicht nur im armen Gelsenkirchen wächst die Sorge von Bürgern, wegen der hohen Flüchtlingskosten selbst zu kurz zu kommen.
Eine Woche vor den heiklen Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt betont Gabriel die Rolle der SPD als Partei der kleinen Leute. Seit Wochen stolpern die Genossen von einem Umfragetief ins nächste. Bei dem befürchteten Desaster am 13.März könnte es auch für den SPD-Chef eng werden. NRW-Bauminister Michael Groschek warnt seine Partei ahnungsvoll vor dem üblichen Spiel „wir gegen uns selbst“ und wirbt dafür, dass Gabriel auch am 14.März in Amt und Würden bleibt.
Begriffe wie „Visier“ und „Zielscheibe“ hingegen sind typische „Bild“-Schlagworte und so dürfen wir wohl auch behaupten, dass das Merkel-Magazin im Auftrag der Kanzlerin die AfD „aufs Korn genommen hat“…