Wie Sigmar Gabriel der FPÖ noch Rückenwind zufächelt, was das Wiener Ergebnis für Berlin bedeutet, und wie Treibsand funktioniert / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Das hat gerade noch gefehlt. Eben erst wurden Österreichs Christ- und Sozialdemokraten beim ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl regelrecht zusammengeschossen (siehe S. 6), da eilen die roten Stümper aus Berlin herbei, um alles noch schlimmer zu machen.
SPD-Chef Sigmar Gabriel „appelliert“ an „alle demokratischen Parteien“ der Alpenrepublik, sich gegen den siegreichen FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer zusammenzurotten und den Zweitplatzierten, den Grünen Alexander Van der Bellen, bei der Stichwahl im Mai zu unterstützen. Die FPÖ-Wahlkämpfer werden nach dieser Nachricht Freudentänze aufgeführt haben, denn ein schöneres Geschenk hätte man ihnen kaum machen können.
Erzesel Gabriel scheint sich in der Gemütslage unseres alpinen Brudervolkes nicht recht auszukennen. Hätte er bloß einen Blick in die jüngere Geschichte riskiert: Vor gut drei Jahrzehnten hat sich schon einmal die Außenwelt massiv in eine österreichische Präsidentschaftswahl eingemischt. Der damalige Kandidat der christdemokratischen ÖVP, Kurt Waldheim, wurde aus allen Himmelsrichtungen wegen seiner angeblich belasteten Kriegsvergangenheit attackiert.
Waldheim reagierte ziemlich unbeholfen auf die Vorwürfe. Die Reaktion seiner Österreicher auf das internationale Kesseltreiben fiel dagegen glasklar aus. Ihre Antwort lautete nicht bloß „Ihr könnt uns mal!“, sondern sogar „Jetzt erst recht!“ Sie streckten der erbosten Welt die Zunge raus und wählten den Verfemten.
Daraus hätte Gabriel lernen können, denn vom großen Bruder im Norden, dem „Piefke“, lässt man sich zwischen Bregenz und Burgenland besonders ungern belehren. Auch das hat mit Geschichte zu tun. Jahrhundertelang war das Österreich der Habsburger Deutschlands Führungsmacht; von der Nordsee bis zum Mittelmeer reichte der Arm des Kaisers und „Königs in Teutschland“, der in Wien saß.
Dann ging diese Führung Zug um Zug verloren, bis man 1866 ganz draußen war. Zwei Generationen später haben die Sieger des Ersten Weltkriegs das Habsburgerreich zerhackt, Österreich schrumpelte zum Kleinstaat am Rande Deutschlands.
So eine Karriere macht empfindlich. Der dumpfe Gabriel hat es geschafft, mit seiner Faust zielsicher den wunden Fleck zu treffen. Nach dem Motto „Wenn schon falsch, dann richtig!“ setzte er seinem Fehlschlag die Krone auf, indem er von „allen“ demokratischen Parteien palaverte, welche die Wahl Hofers „gemeinsam verhindern“ sollten.
Damit hat der Trampel aus dem Harz 35 Prozent der österreichischen Wählerschaft unterstellt, sich mit dem Votum für Hofer als Anhänger eines Undemokraten entlarvt zu haben – ja, vielleicht sogar selber Feinde der Demokratie zu sein. Devise: Wer ein demokratischer Österreicher ist und wer nicht, darüber entscheidet gefälligst der deutsche Vizekanzler. Heidewitzka, das wird aber ankommen an der Donau!
Was soll’s: Für die ÖVP und ihren sozialdemokratischen Partner SPÖ kommt ohnehin jede Hilfe zu spät – obschon Gabriels Griff ins Demagogen-Klo durchaus das Zeug hat, ihre Verzweiflung noch zu steigern.
Das elende Schicksal der „Groß“-Koalitionäre von Wien wird in Berlin mit schweißnasser Stirn beobachtet. Bislang beruhigte man sich an der Spree mit der Verheißung, dass die AfD schon wieder verdunsten werde, sobald das Asyldesaster nicht mehr so auffällt. Genau das aber hat beim Nachbarn augenscheinlich nicht funktioniert. Mit ihrer Balkan-Allianz hat Österreichs rot-schwarze Regierung den Asylstrom schließlich nahezu gestoppt, doch die Wähler rennen trotzdem weg.
Wieso bloß? Nun, die Österreicher haben registriert, dass Rot-Schwarz auf die (zuvor von ihnen verteufelte) Linie der „blauen“ FPÖ eingeschwenkt war, woraus sie schlossen, dass die Hofer-Partei so falsch ja nicht gelegen haben kann. Dieser Befund bringt die bundesdeutschen Etablierten in eine missliche Lage. Zwei gleichermaßen trübe Szenarien sind denkbar: Stellen wir uns vor, der Asylstrom schwillt wieder an. Bleibt der schwarz-rot-grüne Block dann bei seiner Willkommenskultur der offenen Grenzen, wüchse die AfD aus Ärger über den erneuten Massenansturm in ganz neue Höhen. Führt Berlin stattdessen strenge Grenzkontrollen ein, werden unsere „Blauen“ triumphieren: Jetzt machen die Etablierten, was wir schon lange fordern – Ergebnis siehe Österreich. Das ist schon eine üble Zwickmühle. Vor diesem Hintergrund kann man fast Mitleid aufbringen für das tapsige Gepolter des ohnehin orientierungsschwachen Sigmar Gabriel.
In dieser Mühle zappeln die Parteien leider nicht alleine. Österreichs auflagenstärkstes Blatt, die „Kronen Zeitung“, sieht auch die „Meinungsforscher, Politikexperten und Journalisten“ blamiert, die vom Sieg Hofers völlig überrascht wurden. Man habe den Kontakt zu den einfachen Leuten verloren, beichtet die „Krone“ und fordert: „Wir müssen raus aus unserer Komfortzone.“
Fein erkannt – und diesseits des Inn durchaus zur Nachahmung empfohlen. Wie weit sich diese „Komfortzone“ von großen Teilen des Volkes entfernt hat, konnten wir neulich im Feuilleton der „Welt“ nachlesen. Dort ging ein Autor der interessanten Frage nach, wie das Wort „alternativ“ vom linken ins rechte politische Spektrum wandern konnte.
Recht hat er ja: Vor 30 Jahren waren die, die man „alternativ“ nannte, grün verpackte Linke. Nunmehr ist die „Alternative“ eine Partei klar rechts von der Mitte. Auch unter „alternativen Medien“ versteht man heute weniger die „taz“ als vielmehr Zeitungen wie jene, die Sie gerade in den Händen halten.
Also resümiert die „Welt“: „Früher waren Alternative nicht für Deutschland, sondern meist dagegen. Aber irgendwann muss die Bedeutungsentwicklung des Wortes ,alternativ‘ eine falsche Abzweigung genommen haben.“ Sie haben richtig gelesen: Wenn etwas nicht mehr „meist gegen“ Deutschland ist, sondern – wie entsetzlich! – dafür, dann muss es „falsch“ abgebogen sein. Der „Welt“-Autor nennt es einen „Niedergang“, was der politische Begriff „alternativ“ da durchgemacht habe.
Zur Erinnerung: Die „Welt“ gilt als Flaggschiff eines Verlages, der von einem glühenden Patrioten gegründet wurde. Axel Springer ist Ende der 50er Jahre sogar auf eigene Faust nach Moskau geflogen, um Sowjetchef Nikita Chruschtschow die deutsche Einheit zu entlocken. Sicher hatte er da seine Möglichkeiten überschätzt. Aber der Vorgang zeigt, wofür der Mann brannte: für ein freies, demokratisches, vereintes Deutschland, und ganz sicher nicht „dagegen“. Hoffentlich kann er im Jenseits keine Zeitung lesen, sonst müssten wir ihn aufrichtig bedauern, den armen Springer.
Thilo Sarrazin diagnostiziert, dass Deutschland der CDU-Chefin Merkel wurscht sei. In der Etage der feinen Feuilletons reicht solche Gleichgültigkeit offenbar nicht mehr, da sollte man schon gegen unser Land auftreten.
Allerdings hatte man damit gerechnet, dass einen die Missachteten trotzdem weiter wählen und die Verachteten weiterhin brav die Zeitung kaufen. Das aber klappt überraschenderweise immer schlechter. CDU und SPD sausen bei Wahlen wie bei Umfragen in die Tiefe, und die „Welt“ hat binnen Jahresfrist jeden sechsten Leser verloren, im Jahr zuvor war es schon jeder siebte gewesen. Das nennt man beschleunigten Absturz…
Weiterlesen: http://www.preussische-allgemeine.de/nachrichten/artikel/abwaerts-so-oder-so.html