Von Friedrich Fröbel
Werner Heisenberg erinnert sich in seinem Buch „Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik“, an ein Gespräch, das er in der Nacht des 1. März 1943 in Berlin mit dem Biochemiker und späteren Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft Adolf Butenandt führte, während beide nach einem Luftangriff durch die brennenden Straßen Berlins nach Hause laufen mußten – für Berlin(kenn)er: vom Potsdamer Platz bis nach Dahlem (genug Zeit also für eine tiefgehende Unterhaltung). Heisenbergs Äußerungen während dieses Gesprächs zeigen, wie die Beschäftigung der Deutschen mit sich selbst nach dem Krieg auch hätte verlaufen können: So nämlich, daß Deutschland heute womöglich eine selbstbewußte Nation wäre, statt bloße Symptome eines Fehlens eben dieses Selbst-Bewußtseins mit rein materiell motivierten „Reformen“ zu „bekämpfen“ und einseitig besetzte Worthülsen wie „Freiheit“ oder „soziale Gerechtigkeit“ herumzustreuen. Sie sollen hier daher auszugsweise zitiert werden:
„Vielleicht haben wir Deutschen sogar an dieser Stelle eine besondere Aufgabe, gerade weil das Absolute auf uns eine solch merkwürdige Faszination ausübt. In der Welt draußen ist ja die pragmatische Sichtweise weit verbreitet, und man weiß aus unserer Zeit wie aus der Geschichte – man braucht nur an das ägyptische, das römische und das angelsächsische Reich zu denken – wie erfolgreich diese Denkweise in der Technik, in der Wirtschaft und in der Politik sein kann. Aber in der Wissenschaft und in der Kunst ist das prinzipielle Denken, so wie wir es in seiner großartigsten Form aus dem alten Griechenland kennen, doch noch erfolgreicher gewesen. Wenn in Deutschland wissenschaftliche und künstlerische Leistungen entstanden sind, die die Welt verändert haben – man kann ja an Hegel und Marx, an Planck und Einstein, oder in der Musik an Beethoven und Schubert denken -, so ist das nur durch diese Beziehung zum Absoluten, durch das prinzipielle Denken bis zur letzten Konsequenz möglich gewesen. Also nur dort, wo sich das Streben nach dem Absoluten dem Zwang der Form unterordnet, in der Wissenschaft dem nüchternen logischen Denken und in der Musik den Regeln der Harmonielehre und der Kontrapunktik, nur dort, nur in dieser äußersten Spannung kann es seine wirkliche Kraft entfalten. Sobald es die Form sprengt, führt der Weg ins Chaos, so wie wir es hier vor uns sehen; und ich bin nicht bereit, dieses Chaos durch Begriffe wie Götterdämmerung oder Weltuntergang zu verherrlichen.“
Auch wenn die Erwähnung von Karl Marx in dieser Aufzählung etwas deplatziert wirkt, kann man Heisenberg grundsätzlich nur zustimmen: Ein sachliches, für die Sache statt für Ideologien sich begeisterndes Streben nach dem Absoluten ist (nach wie vor) die spezifisch deutsche Aufgabe, die Leistung, die Deutschland für die Welt zu erbringen hat.