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Schutzlücken im Sexualstrafrecht

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Die Ereignisse der Kölner Silvesternacht haben den politischen Druck für Rechtsänderungen erhöht

Von Michael Leh

Die Reform des Sexualstrafrechts wurde schon vor den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht debattiert. Doch erst seit den massenhaften sexuellen Übergriffen auf Frauen durch ausländische Zuwanderer in Köln wurde auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, dass es Schutzlücken im Sexualstrafrecht gibt. Welche rechtlichen Schutzlücken gibt es? Wie können und sollen sie geschlossen werden?

Am 28. April fand im Bundestag die erste Lesung des Gesetzentwurfes zur Änderung des Sexualstrafrechts statt. Der Entwurf stammt aus dem von Heiko Maas (SPD) geführten Bundesjustizministerium. Maas erklärte im Bundestag, es gäbe so „eklatante Schutzlücken“, dass diese auch im Vorgriff auf die im Herbst erwarteten Ergebnisse einer Expertenkommission sofort geschlossen werden sollten. Bei den Straftaten Vergewaltigung und sexuelle Nötigung gebe es eine Verurteilungsquote von nur acht Prozent. Dabei wisse man, dass nur etwa zehn Prozent der Vergewaltigungen überhaupt angezeigt würden. Dies läge nicht nur an Beweisschwierigkeiten, sondern auch an den Schutzlücken im Strafrecht.
Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung sind gemäß Paragraf 177 des Strafgesetzbuches (StGB) strafbar. In der Begründung für ihren Gesetzentwurf verweist die Bundesregierung darauf, dass es Situationen gebe, in denen die Voraussetzungen des Pa­ra­gra­fen 177 StGB nicht vorlägen, die aber dennoch in strafwürdiger Weise für sexuelle Handlungen ausgenutzt würden. Etwa wenn das Opfer aufgrund der überraschenden Handlungen des Täters keinen Widerstand leisten könne oder wenn das Opfer nur aus Furcht von Widerstand absehe. Ein solches Verhalten könne nach gegenwärtiger Rechtslage auch von anderen StGB-Vorschriften nur unter bestimmten weiteren Voraussetzungen bestraft werden, die in bestimmten Fallkonstellationen häufig jedoch nicht gegeben seien.
Unter anderem soll der bisherige Paragraf 179 StGB (der jetzt noch mit „Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen“ überschrieben ist) künftig heißen: „Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände.“ Der Absatz 1 soll künftig lauten:
„(1) Wer unter Ausnutzung einer Lage, in der eine andere Person
1. aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands zum Widerstand unfähig ist,
2. aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zum Widerstand unfähig ist oder
3.  im Fall ihres Widerstandes ein empfindliches Übel befürchtet,
sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder an sich von dieser Person vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Nummern 2 und 3 mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“
Bei einem Fachgespräch der CDU/CSU-Fraktion im Februar hatte der Tübinger Strafrechtsprofessor Jürgen Eisele erklärt, durch die geplanten Än­de­rungen würden viele strafwürdige Fälle tatsächlich erfasst.
„Dennoch“, sagte er, „bleiben gewisse Lücken bestehen, und zwar in den Fällen, in denen es um Belästigung geht, die eine gewisse Erheblichkeit nicht überschreiten.“ Gemäß Pa­ra­graf 184 h StGB sind „sexuelle Handlungen nur solche, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind“. Die Rechtsprechung hierzu sei „relativ uneinheitlich“ und deshalb gebe es auch eine gewisse Unsicherheit. Nicht erfasst werden soll nach der Rechtsprechung etwa ein „einfacher Kuss auf die Wange, kurzes Anfassen im Brustbereich, während massive Berührungen erfasst werden sollen“. Die Erheblichkeitsschwelle sei von der Rechtsprechung in den letzten zehn Jahren „etwas abgesetzt“, also mehr Fälle als erheblich gewertet worden. Auch habe man vermehrt den Tatbestand der Beleidigung angewendet.
Bezüglich sexueller Belästigungen könnte nach Ansicht Eiseles das bestehende Recht in Deutschland auch großzügiger ausgelegt werden, um zu einer „gewissen Erheblichkeit“ zu gelangen. „In Fällen, in denen etwa in den Brustbereich oder zwischen die Beine gegriffen wird“, erklärte Eisele, „wäre das meiner Ansicht nach unproblematisch mit dem Wortlaut zu vereinbaren.“ Wenn man die Problematik nicht der Rechtsprechung überlassen wolle, neige er dazu, einen Tatbestand der sexuellen Belästigung zu empfehlen. Dieser solle nur körperliche Berührungen erfassen, nicht etwa auch anzügliche Bemerkungen. Ferner solle ein Sexualbezug erforderlich sein. Denn je weiter man eine solche Vorschrift fasse, umso mehr könnten vor allem „im persönlichen Näheverhältnis übliche Handlungen“ in die Gefahr einer Strafbarkeit kommen, etwa „Umarmung unter Freunden und Ähnliches“. Das Delikt solle nur subsidiär gegenüber typischen Sexualdelikten wie Vergewaltigung zum Zug kommen und außerdem Antragsdelikt sein.
Die CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere Richterin Elisabeth Winkelmeier-Becker erklärte bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfes im Bundestag, sie halte weitere Ergänzungen für notwendig. „Sexuelle Übergriffe, die nicht gleich unter ,Vergewaltigung‘ zu fassen sind, sondern als bloßes Grapschen oberhalb der Kleidung gelten, sind bisher nicht angemessen sanktioniert, allenfalls als Beleidigung, und das geht am Schutzgut völlig vorbei.“ Grapschen sei kein Kavaliersdelikt…

Weiterlesen: http://www.preussische-allgemeine.de/nachrichten/artikel/schutzluecken-im-sexualstrafrecht.html

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