Von Nicolaus Fest
Kürzlich meinte der keineswegs konservative eidgenössische Publizist Frank A. Meyer im Züricher ‚Sonntagsblick’: „Zuvorderst die bürgerliche Sozialdemokratie hat vor der Ideologie einer religiös ummäntelten Männerherrschaft abgedankt – und den Kampf für die Frauenrechte, die Religionsfreiheit und den strikt säkularen Staat der äußeren Rechten überlassen. Linke Politik und Publizistik haben den Rechtspopulisten die Freiheitsfahne abgetreten.“ Meyer schrieb dies mit Blick auf die Schweiz – aber seine Feststellung gilt für ganz Europa, und es ist die kürzeste und klügste Analyse der gegenwärtigen politischen Verschiebungen.
Denn in der Besorgnis über den Zustrom hunderttausender Migranten äußert sich weit mehr als nur Verdrossenheit über die ungeheuren Summen, die plötzlich für rechtswidrig Eingewanderte vorhanden sind; und es ist auch mehr als die Furcht vor Einbrüchen, sexuellen Übergriffen und Taschendiebstahl. Anders als viele Politiker haben die Menschen in ganz Europa begriffen: Es geht nicht mehr in erster Linie um soziale Fragen, um Kitaplätze oder Mietpreisbremsen; es geht um die Verteidigung von Freiheit – und zwar, das machen die Anschläge von Paris und Brüssel wie die feindseligen Gegengesellschaften deutlich, um die Freiheit des westlichen Lebensentwurfes.
Das ist etwas völlig Neues, und es revidiert möglicherweise einige Feststellungen gerade zum deutschen Charakter, die als unumstößlich galten: Dass die Deutschen keinen Sinn für Freiheit hätten, dass sie immer für die soziale Sicherheit optierten und dass, frei nach Brecht, erst das Fressen komme und dann alles weitere. Der Erfolg der rechten Parteien zeigt: Die ‚Wählerbestechungsdemokratie’ (FAZ), wie sie zuletzt die Große Koalition mit Mütterrente und Mindestlohn betrieb, verfängt immer weniger. Dass sich die AfD, trotz aller Fehler, Behinderungen und ohne Betonung ihres sozialen Programms, aus dem Stand in mehreren Bundesländern als dritte Kraft etablieren konnte, ist ein Signal. Denn auch in der verbreiteten Antipathie gegen Brüssel, gegen eine erdrückende und freiheitsfeindliche Bürokratie, äußert sich ein Begehren, dass man den Deutschen nie zutraute: Nach Selbstbestimmung und politischer Freiheit.
Diese Ziele aber werden in Deutschland von keiner der Altparteien mehr vertreten. Die immer neu abgebügelte Diskussion um eine Vereinfachung des Steuerrechts zeigt das ebenso wie der Wortbruch beim Soli oder die Drangsalierung der privaten Krankenkassen: Wann immer es um die Frage geht, ob der Einzelne sein Leben nicht besser selbst regeln und eigenständig entscheiden sollte, was er mit seinem Geld macht, entscheidet die Politik für den Nannystaat. Auch gegenüber den freiheitsfeindlichen Bestrebungen des Islam haben Union und FDP, nicht zuletzt korrumpiert durch ihre zahllosen Vertreter in muslimischen Organisationen, den Widerstand aufgegeben. So stellt keiner der führenden Politiker die Frage nach der Vereinbarkeit von Islam und Grundgesetz – trotz aller Anschläge, trotz aller täglich erlebten Gewalt in Ländern mit islamischer Verfassung, trotz aller Warnungen von Islamwissenschaftlern, trotz ‚Zwangsheiraten’, ‚Ehrenmorden’, Homophobie und offenem Antisemitismus. Während Frankreich die Verschleierung untersagt, Österreich den Einfluß der fundamentalistischen türkischen Religionsbehörde drastisch beschneidet, meidet die deutsche Politik bereits die bloße Debatte. Auch mit Blick auf die EU spielt die Freiheitsfrage, sieht man von Peter Gauweiler und Frank Schäffler ab, schon lange keine Rolle mehr. Und von der deutschen Sozialdemokratie ist, wie leider so oft, nichts zu erwarten. Sie war, ganz anders als ihr eidgenössisches Pendant, nie ein Hort des freiheitlichen Denkens. Nicht die Rechte des Einzelnen waren den Sozialdemokraten wichtig, sondern Sicherheit und Wohlstandsteilhabe. Selbst Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“ war kein Appell für Emanzipation und Eigenständigkeit, sondern in erster Linie ein Fanal für mehr Versorgungsstaat: „Mehr Demokratie“ war mehr Umverteilung, mehr Partizipationsrechte, mehr Beamte; mehr Freiheit vom Staat war es nicht. Dass die GRÜNEN in den 1980ern den freiheitlichen Individualismus politisch besetzten konnten, war auch eine Folge dieser offenen Flanke.
Doch auch die GRÜNEN haben die Freiheitsfahne eingerollt und die des Multikulturalismus aufgezogen. Dafür opfern sie nun viele der Rechte, für die sie über Jahre kämpften. Daher kein Wort zur muslimischen Homophobie, zur Verschleierung und Unterdrückung von Frauen, zu den jüngsten Fällen von Zwangsverheiratungen Minderjähriger, zu der Mißhandlung von Christen und Jesiden in Aufnahmelagern. Wenn sexuelle Diskriminierung keinen katholischen oder sonst christlichen Hintergrund hat, findet sie für GRÜNE nicht statt. Nicht einmal der Massenmord von Orlando lässt die GRÜNEN fragen, ob ihre Liebe zu einer brutal-atavistischen Heilslehre nicht im Widerspruch zu ihren sonstigen Positionen steht. So gilt auch für diese Partei: Die Freiheit des Einzelnen ist hier kein Thema.
Doch eben für andere, und überall in Europa. Das Aufkommen rechter Alternativen ist daher, anders als behauptet, kein Zeichen einer Renaissance nationalistischen Gedankenguts oder einer Re-Christianisierung; es ist vielmehr ein Zeichen einer neuen Freiheitsdebatte. Sie steht hinter allen Fragen nach Nation und Identität. Wer die Freiheit der westlichen Lebensart verteidigen will, findet nur bei den neuen Rechten Antworten. Die alten Parteien sind so sprachlos wie unglaubwürdig, ihre politische Substanz ist erschöpft. Sie glauben immer noch, die Menschen würden politisch bewegt von Vermögenssteuer, Windkraft und der Prämie für Elektroautos. Dabei gilt längst: „It’s not the economy, stupid!“ Es ist die Freiheit, um die geht.
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