Von Christian Ortner
An der türkisch-syrischen Grenze wurden vergangenen Samstag acht Syrer von türkischen Soldaten beim Versuch erschossen, aus ihrer geschundenen Heimat ins Nachbarland Türkei zu fliehen, allesamt unbewaffnete Zivilisten, ein Mann, drei Frauen und vier Kinder, berichten seriöse Menschenrechts-NGOs.
Dergleichen ist mittlerweile Normalität geworden an dieser Grenze, die zunehmend befestigt und mit Wachtürmen und Scharfschützen hochgerüstet wird. Etwa 60 Syrer dürften allein heuer an dieser Grenze vom Militär erschossen worden sein. Die bisher einzige noch halbwegs offene Fluchtroute wird damit zunehmend zur Todesfalle.
Bemerkenswert ist nicht nur dieses Faktum allein, sondern vor allem auch die Reaktion der deutschen oder auch der österreichischen Regierung auf diese Morde: Es gibt keine. Dröhnendes Schweigen ist die einzige Reaktion auf die Todesschüsse türkischer Soldaten.
Dieses Schweigen ist kein Zufall. Denn um Grunde erledigt Recep Tayyip Erdogan an der Grenze zu Syrien nur, was die EU und vor allem Deutschland von ihm explizit verlangen und mit ihm ausgedealt haben: dass so wenige Migranten wie möglich nach Europa kommen. Und je mehr Tote es an der syrisch-türkischen Grenze gibt, umso weniger Syrer wagen es, sie zu passieren, und umso weniger schaffen es nach Europa.
Erdogan erledigt hier nur auf besonders blutige – und damit wahrscheinlich effiziente – Weise jenen Job, für den ihn die moralinsauren Europäer engagiert haben. Dass er dabei gelegentlich etwas übertreibt, wird dem selbsternannten Sultan als milieubedingter Übereifer nachgesehen. Die paar Dutzend toten Syrer sind in dieser Logik der Kollateralschaden der ans Subunternehmen Türkei ausgelagerten Sicherung der EU-Außengrenzen. Mit welchen Methoden die türkische Polizei, eine den Menschenrechten bekanntlich besonders innig verbundene Institution, die Migranten von der Überfahrt nach Griechenland abhält, will in Europa niemand so genau wissen.
Nun ist es nicht nur das Recht, sondern geradezu die Pflicht der EU, ihre Außengrenzen sorgfältig zu sichern. Anders kann die ohnehin derzeit etwas eingeschränkte Abschaffung der nationalen Grenzkontrollen im Schengen-Raum nicht aufrechterhalten werden.
Widerwärtig, man kann es nicht anders benennen, ist freilich die bemerkenswerte Fallhöhe zwischen der vor Selbstgerechtigkeit triefenden angemaßten moralischen Überlegenheit der EU, vor allem aber gerade Deutschlands einerseits und andererseits der Art und Weise, wie über den staatlich organisierten Mord an syrischen Flüchtlingen in schweigender Übereinkunft mit dem Erdogan-Regime nonchalant hinweggesehen wird. Das ist nicht viel anders, als würde sich der Vatikan mit Frauenhandel und Drogengeschäften finanzieren.
Wenn Europa, wofür einiges spricht, einer robusteren Sicherung seiner Außengrenzen als bisher bedarf, kann man nicht gleichzeitig die Pose der weltweit führenden humanistischen Großmacht einnehmen, deren Marine ausschließlich dazu da ist, ertrinkende Flüchtlinge aus dem Meer zu fischen – während der enge Verbündete Türkei auf sie schießt, ohne dass das jemanden kümmert.
Derartige Politik verlogen zu finden, wäre eine höfliche Untertreibung. („WZ“)