Rätseln über Putin und Erdogan – Was steckt dahinter? Ein paar andere Gedanken dazu von Menno Aden
Das Treffen von Putin mit Erdogan in St. Petersburg am 9. August schien rätselhaft. Was steckt dahinter, wenn diese beiden Staaten plötzlich ihre bisherige „Eiszeit“ beenden? Folglich fand das Treffen international starke Beachtung und löste sofort zahlreiche Kommentare mit Deutungsversuchen aus. Hierzulande standen im Mittelpunkt die möglichen Folgen für den Krieg in Syrien, für den Zuwanderungsstrom von Menschen nach Europa und vor allem nach Deutschland sowie für die wirtschaftlichen Folgen und Handelsbeziehungen, darunter die geplante Gasleitung „Turkish Stream“.
Man las auch von einem „Zeichen der Entfremdung der Türkei vom Westen und einem Warnsignal für die EU“, ferner über Zweifel daran, ob die neue Freundschaftsbekundung tragfähig sei, und über ein nur wirtschaftliches, nicht militärisches Ad-hoc-Bündnis von fragwürdiger Beständigkeit. Man kann sich aber auch zusätzliche andere Gedanken darüber machen, warum beide Staaten einen Neustart ihrer politischen Beziehungen versuchen. Wahrscheinlich orientieren sich die Türkei und Russland auch strategisch neu. Überlegungen hierzu hat der promovierte Jurist Menno Aden*) angestellt.
Was im Kopf eines machtgierigen Erdogan wohl so umläuft
Aden schreibt unter anderem: „Wir Westeuropäer machen einen Fehler, wenn wir den Ersten Weltkrieg in 1. Linie immer unter dem Gesichtspunkt Deutschland gegen Frankreich und die Welt betrachten. Ich habe in meinem Buch „Das Werden des Imperium Americanum und seine zwei hundertjährigen Kriege“ (Graz 2016) darauf hingewiesen, dass der eigentliche Verlierer des Ersten Weltkrieges nicht Deutschland, sondern das Osmanische Reich war. Deutschland wurde zwar territorial beschnitten, das Osmanische Reich aber systematisch zerstückelt und unter Briten und Franzosen aufgeteilt. Man muss sich nur einmal mit einem jungen patriotischen Türken (patriotisch sind sie eigentlich alle!) unterhalten, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was im Kopf eines machtgierigen Erdogan so umläuft. Da ist nicht nur das damals von Slowenien bis Kuwait reichende Osmanische Reich sehr präsent. Es geht heute anscheinend um mehr – um die Sammlung des tatarisch-türkischen Gesamtvolkes von Istanbul bis zu dessen Urheimat im heute russischen Altaigebirge, und zwar unter dem Dach des Islam. Das wird nicht in dieser Generation geschehen. Aber die Türken sind ein geduldiges Volk. Politische Voraussetzung eines solchen weit ausgreifenden Planes ist, dass man den Rücken frei hat. D a z u dient Erdogan die neue Freundschaft mit Russland. Was für Russland allenfalls eine Atempause ist, wird für die Türkei zur Basis einer strategischen Neuausrichtung in Richtung Osten und Nordosten.“
Wenn wir doch hören wollten …
„Was bedeutet das für uns? Wir Westeuropäer und insbesondere wir Deutschen belieben, unsere Augen vor den Realitäten zu schließen, die auf uns zurollen. In Deutschland leben heute etwa so viele Türken wie zur Zeit der letzten Belagerung Wiens durch die Türken (1683) in der heutigen Kerntürkei lebten. Wenn wir doch hören wollten, was wir täglich hören könnten, dann wüssten wir, dass diese türkische Minderheit bei uns ebenso instrumentalisiert werden soll wie, wenn auch in sehr viel geringerem Maße, die deutsche Minderheit im damaligen Polen vor 1939.“ Der ganze Aden-Beitrag vom 15. August ist auf seiner Web-Seite hier zu finden.
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Zur Person: Dr. iur. Menno Aden (Jahrgang 1942, Abitur 1962) hat Rechtswissenschaften in Tübingen und Bonn studiert (1963 bis 1967), wurde 1972 in Bonn promoviert, war in den Jahren 1971/72 Senior Research Officer am Institut für Rechtsvergleichung der Universität von Südafrika, war beruflich tätig in der Energie- und Kreditwirtschaft und von 1994 bis 1996 Präsident des evangelisch-lutherischen Landeskirchenamtes in Schwerin, dann bis 2007 Professor an der FH für Ökonomie und Management in Essen. Verheiratet, fünf Kinder. Er hat neben seiner Lehrtätigkeit zahlreiche Schriften im Bereich Bank-, Wirtschafts- und internationales Recht verfasst, auch theologische Schriften und Bücher zu anderen Themen, darunter sein jüngstes Buch Das Werden des Imperium Americanum und seine zwei hundertjährigen Kriege. (Ares Verlag GmbH, Graz 2016. 232 Seiten. Broschürt. 18 Euro. ISBN 978-3-902732-63-7). Im „Klappentext“ dieses Buches heißt es über Aden: „Etliche berufliche Einsätze in aller Welt führten ihn immer wieder zu der Frage, wie es den Vereinigen Staaten von Amerika gelingen konnte, über viele Kriege hinweg zur imperialen Macht aufzusteigen, anderen Nationen – wie zum Beispiel Deutschland – aber den Ruf eines „Störenfrieds der Weltordnung“ anzuhängen.“ Weiteres über Aden siehe hier.