Erdingers Weissheiten – Da Schlimmste von gestern
Von Max Erdinger
„Wer hat Angst vorm schiefen Claus?“ – „Niemand, niemand!“ – „Wenn er aber kommt?“ – „Dann rennen wir davon!“. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten wollte, daß die Kinder in der Nachbarschaft diesen Dialog brüllen, ehe sie auseinander rennen, um Fangen zu spielen. Es gibt nämlich keine Kinder mehr in der Nachbarschaft. Ich habe es nur geschrieben, weil ich selber davonrenne, wenn der schiefe Claus kommt. Der moderiert nämlich das heute-journal im ZDF. Auf heute.de gab es diese Meldung:
„Bundesinnenminister Thomas de Maizière rät zu einem besonnenen Verhältnis zur Türkei. „Im Umgang mit unseren Partnern müssen wir nüchtern analysieren und dürfen nicht naiv sein“, sagte de Maizière in einem Interview. Konflikte der Türkei dürften nicht auf Deutschlands Straßen ausgetragen werden.“
http://www.heute.de/de-maiziere-raet-zu-nuechternem-umgang-mit-tuerkei-44903820.html
Das ist Weisheit. Jedenfalls sieht es auf den ersten Blick danach aus. Und de Maiziére hat eine Brille, die er wohl nicht hätte, wenn die Gemeinschaft der Krankenversicherten nicht davon ausgehen würde, daß sie ihm eine bezahlen muß, weil sie etwas davon hat, wenn der Innenminister gut sieht. Endlich sagt es mal einer: Schluß mit der ganzen Unbesonnenheit! Nüchtern analysieren! Nicht naiv sein! Wir sehen: De Maiziére hat den Durchblick und will sich auf die EU nicht länger mehr verlassen. Er schlägt einen nationalen Alleingang vor. Logisch: Nüchtern zu analysieren, wäre von Jean-Claude Juncker eindeutig zu viel verlangt, – und der Lösung des Naivitätsproblems steht Martin Schulz im Weg. Was bleibt da also? Nur noch eine Rückbesinnung auf den reichen Schatz an knochenharten Realisten im eigenen Land, wie sie in der GroKo besonders zahlreich vertreten sind. Dadurch, daß sie dem „Wir schaffen das!“ der Kanzlerin kaum widersprochen haben, ist ihr Realitätssinn hinreichend bewiesen.
Ein besonnenes Verhältnis zur Türkei also. Hoffentlich kommt er da dem Bundespräsidenten nicht in die Quere. Der lebt nämlich in seiner eigenen Realität und würde eher für ein besinnliches Verhältnis plädieren. Und die Kanzlerin würde ihn vermutlich zu übertrumpfen versuchen: Ein besonnenes Verhältnis zur Türkei auf Augenhöhe, begleitet von einem konstruktiven Dialog im gegenseitigen Einvernehmen zur Lösung der vielfältigen Herausforderungen, würde die wahrscheinlich fordern. Und daß es keine Probleme gibt, würde sie sagen, sondern Herausforderungen, die es wiederum nur deswegen gibt, damit etwas da ist, dem man sich stellen kann. Sich zu stellen ist nämlich das Wichtigste überhaupt, wenn eine Herausforderung daherkommt. Deswegen ist sie ja auch die realistische Bundeskanzlerin und de Maiziére nur der Innenminister. Der Innenminister ist der Realitätsschüler der Kanzlerin. Seien wir nicht naiv, sondern sagen wir es ganz nüchtern: So ist es doch!
Daß de Maiziére gesagt hat, Konflikte der Türkei dürften nicht auf Deutschlands Straßen ausgetragen werden, beweist, daß er die Realität erkannt hat. Konflikte der Türkei wurden bereits auf Deutschlands Straßen ausgetragen. Ohne, daß es hätte passieren dürfen. Was täten wir nur, wenn der Inenminister keine Brille verschrieben bekommen hätte? Wir wären verloren. Wartet nun heute.de mit weiteren Scharfsichtigkeiten des Innenministers auf? Was steht da als nächstes? Das hier: „“Die Türkei ist NATO-Mitglied und für uns ein wichtiger Partner in der Flüchtlingskrise und im Kampf gegen den internationalen Terrorismus“. – Potzdonner! Ein wichtiger Partner ist die Türkei! So ist das, seit Probleme zu Herausforderungen geworden sind. Andere Länder, in denen praktisch nichts mehr so funktioniert, wie man sich das als Demokratie- und Rechtsstaatlichkeitsweltmeister ganz nüchtern und ohne jede Naivität wünscht, sind keine anderen Länder mehr, sondern Partner. Das NATO-Mitglied Türkei ist ein wichtiger Partner in der Flüchtlingskrise. Nur böse Zungen behaupten, es sei eine große Herausforderung für Deutschland, erstens in einem Militärbündnis mit der Türkei zusammen zu sein – und zweitens, daß man nüchtern betrachtet einen Erpresser nicht als einen „Partner in der Flüchtlingskrise“ bezeichnen soll. Immerhin sieht man sich als Deutscher doch vor die Herausforderung gestellt, damit zurecht zu kommen, daß der „Partner in der Flüchtlingskrise“ die besser ausgebildeten Refugees, die hierzulande so welcome sind, an der Ausreise aus der Türkei hindert – und nur diejenigen gen Alemania ziehen läßt, die wegen ihres Analphebetismus selbst in der Türkei keinen Job bekommen.
Tut ein Partner so etwas, einmal nüchtern und gänzlich ohne jede Naivität gefragt? Und wie ist das mit der Partnerschaft der Türkei im Kampf gegen den internationalen Terrorismus? Was für ein Kampf der Türkei? Hat der IS seine Ölgeschäfte nicht über die Türkei abgewickelt? Gab es keine Unterstützung der Türkei für Terroristen, die Kurden und Jesiden abschlachteten? De Maiziére sollte eventuell noch einmal bei Fielmann vorbeischauen. Obwohl: Schauen. Vielleicht kann ihn ja auch jemand hinführen. Ein Blindenhund zum Beispiel. Noch etwas? Ja, das hier: „Allerdings gelte im Umfang mit Erdogan auch: „Wir müssen und können es als freies Land aushalten, wenn er hier Reden hält.“ Das ist Toleranz im Wortsinn: Tolerare (lat.) heißt tatsächlich „etwas ertragen, aushalten“. Aber ehrlich gesagt: Meine Schmerztoleranz ist zu gering ausgeprägt, um stoisch das Geseichte eines herausgeforderten Innenministers auszuhalten, der besser von einem Blindenhund zu Fielmann geführt worden wäre, anstatt beim ZDF ein Interview zu geben.