Erdingers Weissheiten – Das Schlimmste von gestern
Von Max Erdinger
„Im süddeutschen und österreichischen Sprachraum hat ein Zug vorzugsweise mehrere Wägen“, schreibt der Duden. ( http://www.duden.de/sprachwissen/sprachratgeber/plurale-mit-und-ohne-umlaut ). Das wollte ich nur vorausgeschickt haben, damit kein Streit ausbricht. Ich bin Süddeutscher. Ich darf also „Wägen“ schreiben. Im Folgenden geht es nämlich schon um einen Streit. Die USA und die EU sind sich nicht einig, ob man die Aufforderung: „Hände hoch! Geld her!“ mit „Ebenfalls Hände hoch, ebenfalls Geld her!“ beantworten darf, ohne die freundschaftlichen Beziehungen aufs Spiel zu setzen. Immerhin spricht Angela Merkel den amerikanischen Präsidenten in der Öffentlichkeit mit „Lieber Barack!“ an.
Worum geht es? Die WELT titelt: „Steuerschuld – Die EU-Kommission will Apple zu einer Steuernachzahlung in Höhe von fast 20 Milliarden Dollar verdonnern. Das findet die US-Regierung gar nicht gut – und schickt deutliche Worte in Richtung Brüssel. ( … ) Die US-Regierung fürchtet um ihr Hightechunternehmen. Sie schaltet sich daher direkt in die Auseinandersetzung mit der EU-Kommission ein und droht sogar mit Konsequenzen.“
http://www.welt.de/wirtschaft/article157860320/EU-und-USA-streiten-ueber-Apples-Steuerschuld.html
Dem stelle ich hier eine andere Meldung gegenüber. Die Südwestpresse schreibt: „San Francisco – US-Rechtsstreit: Richter setzt VW eine Frist – Einen Milliarden-Vergleich hat VW im US-Mammutverfahren wegen des Abgasskandals geschlossen. Für kleinere Dieselautos fehlt noch ein Kompromiss. ( … ) Es geht um etwa 85 000 Dieselwagen mit größeren 3,0-Liter-Motoren, die mit in den USA verbotener Software zur Abgaskontrolle ausgestattet sind. Bei rund 480 000 kleineren Fahrzeugen mit 2,0-Liter-Motoren hat VW bereits einen Vergleich über bis zu 15,3 Mrd. Dollar (13,5 Mrd. € ) mit US-Klägern ausgehandelt. Nach Vorwürfen des US-Umweltamts EPA hatte der Konzern im September 2015 eingeräumt, in großem Stil Emissionswerte gefälscht zu haben. Der Richter machte klar, dass die Zeit in der 3,0-Liter-Frage drängt, da die Autos nicht den US-Vorschriften entsprächen und somit illegal auf den Straßen unterwegs seien.“
Natürlich hat das eine mit dem anderen nichts zu tun, würden uns Politiker erzählen. Es ginge hier um Recht & Gesetz, nicht um den Versuch, sich gegenseitig zu berauben. Daß der Volkswagenkonzern eine üble Ansammlung von Blech, betrügerischer Software und skrupellosen Umweltsündern ist, davon ist man in den USA überzeugt. Umweltfreundliche Autos zu bauen und zu behaupten, sie seien umweltfreundlicher als umweltfreundlich, ist schließlich ein Verbrechen an der lieben Umwelt. Betrug an den umweltbewußten Verbrauchern ist es auch. Die hätten sich nämlich einen Ford SUV mit V8-Motor gekauft oder wären zu Fuß gelaufen, wenn sie von der Umweltbedrohung durch VW gewußt hätten. Daß der Betrug aus Wolfsburg just an dem Tag aufgedeckt wurde, an dem Volkswagen den aktuellen Passat in den USA als Massenmodell in der Mittelklasse vorstellte, ist nichts als der reine Zufall. Keinesfalls hätte man verhindern wollen, daß diese ausgezeichneten, umweltfreundlichen Wägen den entsprechenden Markt in den USA zu Ungunsten von GM und Ford aufrollen.
Keinesfalls hat auch der Versuch der EU, von Apple fast 20 Milliarden Dollar an Steuernachzahlungen einzutreiben, etwas damit zu tun, daß diese Summe beim aktuellen Wechselkurs in etwa dem entspricht, was man in den USA von VW haben will. Das eine kann mit dem anderen gar nichts zu tun habe. Hätte es nämlich etwas miteinander zu tun, würden sich sowohl US-Amerikaner als auch Europäer mit Fragen hinsichtlich ihrer jeweiligen Volksvertretungen beschäftigen müssen, auf die es keine Antworten gäbe, die im Sinne des Weltfriedens als günstig zu werten wären. Dem Weltfrieden sind die USA und die EU aber verpflichtet. Für Volksvertreter, die sich gegenseitig mit „Dear Angela!“, respektive mit „Lieber Barack!“ anreden, und die sich bei der Begrüßung in der Öffentlichkeit abbusseln, hat die Freundschaft beim Geld noch lange nicht aufzuhören. Für jeden anderen schon. Und wie die Marionetten an den Fäden irgendwelcher Industrielobbyisten hängen Barack und Angela auch nicht. Außerdem würde eine Verknüpfung dieser beiden Fälle beim einfachen Bürger den Verdacht keimen lassen, daß „Recht & Gesetz“ als vorgeschobene Begründung auch in anderen Zusammenhängen mißbraucht worden sein könnten, um ihm Sand in die Augen zu streuen.
Deswegen kann ich nur raten: Verknüpfen Sie um Himmels Willen diese beiden Fälle nicht miteinander! Die USA und die EU haben sich so lieb wie Barack und Angela. Alles ist in Ordnung. Es wird wohl darauf hinauslaufen, daß VW den Amerikanern das Geld gibt und daß die Amerikaner das Geld, das vorher einmal VW gehört hat, über Apple an die EU weiterleiten. Dann hätte VW für Apple Steuern bezahlt – und Apple Strafen für VW. Und zwar in die jeweiligen „Staatskassen“, wo sich Strafen und Steuern unterschiedslos zu Geld vermischen. So funktioniert internationaler Handel: Es ist ein Nehmen und ein Geben. Damit wäre dann auch klar, daß man „Hände hoch, Geld her!“, durchaus mit „Ebenfalls Hände hoch, ebenfalls Geld her!“ beantworten darf, ohne notwendigerweise für schlechte Stimmung zu sorgen. Daß man es von Anfang an auf beiden Seiten des Atlantiks auch hätte bleiben lassen können, stimmt so nicht. Woher soll der Bürger wissen, wie wichtig Umwelt samt „Recht & Gesetz“ sind, wenn man ihm doch zur Steigerung seines staatsbürgerlichen Werts einimpfen muß, daß vom Folgenden niemand ausgenommen werden kann: Die Umwelt und die Steuer, die sind richtig teuer.