Von Thomas Rietzschel
Was war das für eine Woche! Selten ist es moralisch so hoch hergegangen wie in diesen letzten Sommertagen, so verlogen, so scheinheilig, so anmaßend selbstgerecht, so theatralisch. Dass Joachim Gauck mit seinem Geschwurbel über „ein helles Deutschland“, dem ein „Dunkeldeutschland“ gegenüber stehe, unversehens in die schwülstige Rhetorik derer geriet, die früher schon die guten gegen die schlechten Deutschen ausspielten, bis das ganze Land in Scherben lag, dieser metaphorische Fehltritt mag ja noch hingehen. Schließlich entstammt der befristet amtierende Bundespräsident der Zunft der Pastoren. Und die wiederum neigen seit jeher zu blumiger Rede. Nicht zuletzt darin beweist sich ihre Professionalität. Wer jedes ihrer Worte auf die Goldwaage legen wollte, geriete schnell in Teufels Küche. Ihre Gleichnisse, die bösen zumal, sollen die Gemeinde aufrütteln, in Gottes Namen. Einstehen muss dafür niemand, nicht einmal der Pastor selbst, wenigstens nicht hienieden.
Ganz anders verhält es sich dagegen bei den regierenden Politikern, da sie vorgeben, im Namen ihrer Arbeitgeber, der Bürger, zu sprechen und zu handeln. Dazu verpflichtet sie das Grundgesetz, das haben sie geschworen. Gleichwohl können sie natürlich für sich, daheim im stillen Kämmerlein, über „die Menschen draußen im Lande“ urteilen wie sie wollen. Die Gedanken sind frei – die öffentliche Rede unserer angestellten Politiker ist es nicht. Das gilt für die Bundeskanzlerin ebenso wie für ihren Stellvertreter. Weder ihm noch ihr steht es zu, den Bürgern moralisch die Leviten zu lesen.
Wo es nötig ist, können, sollen und müssen sie politisch handelnd gegen jene vorgehen, die die Sicherheit und die Rechte anderer bedrohen. Deshalb sind dem Staat die Polizei und die Sicherheitsdienste unterstellt, deshalb gibt es eine Staatsanwaltschaft. Wenn dagegen der Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland verbale Verleumdungen protestierender Bürger – aus welcher Ecke auch immer sie kommen mögen – in die Mikrophone bellt, vergreift er sich nicht nur im Ton: Er missbraucht das Ansehen seiner Position, um seinerseits, sozusagen regierungsamtlich, Hass zu schüren.
In totalitär beherrschten Ländern ist das gang und gäbe. In einer Demokratie wie der deutschen indes disqualifiziert sich jeder Politiker, der sich so vergisst wie Sigmar Gabriel, als er dieser Tage von deutschen Bürgern als „Pack und Mob“ sprach. Solche Pauschalurteile erfassen immer mehr Menschen, als unter Umständen gemeint gewesen sein mögen. Mit ihnen wird Stimmung gemacht, mehr nicht. Wer sich darin gefällt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, das Flüchtlingsproblem zur eigenen Profilierung zu missbrauchen.
Tatsächlich haben wir in der abgelaufenen Woche einen Asylantenheim-Tourismus erlebt, bei dem die der Gefahr und der Not Entflohenen vorgeführten wurden wie die „Schwarzen“ und die Indianer in den „Völkerschauen“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts, bei Hagenbeck in Hamburg oder im Zirkus Sarrasani zum Beispiel. Als Statisten mussten sie den Politikern Gelegenheit geben, sich als Sachwalter menschlicher Würde in Szene zu setzen.
Wortwörtlich sagte Angela Merkel bei ihrem Auftritt in Heidenau: „Es gibt keine Toleranz für die, die die Würde anderer Menschen in Frage stellen.“ Richtig, so ist es! Oder sollten wir besser sagen, so müsste es sein? Schließlich liegt es erst wenige Wochen zurück, dass der Vizekanzler den Mullahs im Iran seine katzbuckelnde Aufwartung machte, um Geschäfte mit einem Land anzubahnen, in dem die Menschenrechte keinen Pfifferling wert sind, in dem verfolgt, gefoltert, eingesperrt und hingerichtet wird, wer versucht, seine Würde als Andersdenkender zu bewahren. Hat Sigmar Gabriel damals auch von Mob und Pack gesprochen?…
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