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AMERICAN ERECTIONS

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Erdingers Weissheiten – Das Schlimmste von gestern 

Von Max Erdinger

Es gäbe gute Gründe, in einer Demokratie einen bestimmten Politiker zu wählen. Politik wäre zum Beispiel einer. Dazu müsste man allerdings annehmen, daß der Politiker derjenige ist, der die Politik macht. Horst Seehofer hat aber schon einmal freimütig eingeräumt, daß die Gewählten nichts zu sagen haben und daß diejenigen, die etwas zu sagen haben, nicht gewählt werden. Lobbyismus ist ein großes Problem in der Demokratie. Der großartige, amerikanische Kabarettist George Carlin (+2008) meinte: „Sie haben keine Wahl!“ (you have no choice). In Amerika könne man zwar überall da wählen, wo es nicht wirklich darauf ankommt – unter dreißig verschiedenen Sorten Jelly Beans etwa – , aber wenn es wichtig wird, so Carlin, hat man keine Wahl. Deswegen verzichtet politischer Wahlkampf gerne auf politische Aussagen. Was hätte man als Politiker auch zu gewinnen? Man müßte sich hernach nur auf das festnageln lassen, was man zuvor im Wahlkampf versprochen hat. Ich meine, es sei der Wahlkampf 2005 gewesen, in dem ich eines Wahlplakats angesichtig wurde, auf dem neben dem Konterfei einer grienenden Angela Merkel zu lesen stand „Gemeinsam für ein neues Miteinander – CDU“. Da kann man Angela Merkel nichts vorwerfen: Seit dem Tag der Deutschen Einheit in Dresden muß der Letzte neidlos anerkennen, daß Merkel Wort gehalten hat. Mancher bemängelt, unter Merkel sei die Parteienlandschaft der Bundesrepublik de facto zu einem Einparteienstaat verkommen, aber das ist in Amerika nicht anders. Und zwar schon lange. Mir ist eine Liste mit politischen Aussagen zu Gesicht gekommen, bei der man raten sollte, ob diese oder jene Aussage jeweils von einem republikanischen oder von einem demokratischen Politiker stammt. Es gibt keinen Unterschied. You have no choice.
Im Falle Clinton vs. Trump könnte das anders sein. Was einem, zumal als Deutschem, als erstes einfällt, das ist, daß Trump Entspannung mit Rußland will, Clinton jedoch die konfrontative Eskalation. Allein wegen dieses einen Punktes sollte man anehmen, daß es in der deutschen Presselandschaft viel Sympathie für Trump geben müsste. Für die amerikanischen Wähler ist das nicht wirklich wichtig. Erstens befinden sich die USA seit Generationen ständig im Krieg mit irgendwem – und zweitens finden diese Kriege nie auf amerikanischem Territorium statt. Europa könnte Kriegsschauplatz werden, sollte Clinton Präsidentin werden. Was beobachten Europäer stattdessen fasziniert? Sie beobachten, wie ein Sieg Trumps womöglich an – ebenfalls womöglich – erfundenen Aussagen über sein Verhältnis zu Frauen scheitern könnte. Gegen die jüngsten diesebezüglichen Meldungen (siehe meine Kolumne von gestern) will Trump nun gerichtlich vorgehen und die New York Times verklagen. Die hatte gestern mit „neuen“, zum Teil tatsächlich dreißig Jahren alten Details die Lust an der Empörung geschürt. Die FAZ berichtet.

http://www.faz.net/aktuell/politik/wahl-in-amerika/wahl-in-amerika-trump-wehrt-sich-gegen-belaestigungs-vorwuerfe-14480535.html

Was sollen Trumps Leute machen? Es ist Wahlkampf. Wenn die Clinton-Leute ständig auf seinen angeblichen sexuellen Eskapaden herumreiten – und wenn das genau das ist, worauf bigotte, bis ins Mark dekadente und ignorante Wähler anspringen, wenn der Wähler hinwiederum das ist, was man braucht, um gewählt zu werden, – was bleibt einem dann anderes übrig, als sich auf dieses Niveau mit hinabziehen zu lassen und im Keller zu kämpfen? Erster Versuch: Hillary Clinton hatte in den Siebziger Jahren eine lesbische Affäre mit Yoko Ono, damals noch mit John Lennon verheiratet, seit 1980 Witwe.

http://worldnewsdailyreport.com/yoko-ono-i-had-an-affair-with-hillary-clinton-in-the-70s/

Das scheint nicht funktioniert zu haben. Die Amerikaner haben sich nicht empört. Jedenfalls nicht in dem Maße, daß es Trump nützen könnte. Also zweiter Versuch, diesmal u.a. lanciert von Rush Limbaugh, dem erzkonservativen Kolumnisten, Radio- und Fernsehhost. Präsident Obama soll während der Wahlkampagne 2008 in einem Flugzeug von seinem Platz aufgestanden sein, um den mitreisenden weiblichen Reportern seine Erektion zu zeigen. Die wiederum seien begeistert gewesen und hätten alle unbedingt einen Blick darauf werfen wollen.

http://www.rushlimbaugh.com/daily/2016/10/12/have_you_seen_this_obama_video

Das ist Demokratie im Endstadium. Das ist wirklich nur noch panem et circenses. Wenn es bei der Wahl zu einem der offiziell wichtigsten politischen Ämter der Welt nur noch darum geht, welcher Kandidat dem Wähler den größten Schauer wollüstiger Empörung in der Bigotterie über den Rücken jagen kann, könnte man auf Wahlen tatsächlich verzichten und sich Frank Zappas (+1993) Erkenntnis hinsichtlich dessen anschließen, worum es sich beim politischen Establishment der USA tatsächlich handelt. Zappa meinte:  „Politik ist die Entertainmentabteilung des militärisch-industriellen Komplexes.“

Als Europäer kann man sich nur mit Grausen abwenden und eine Agenda politischer Dringlichkeiten einfordern, an deren erster Stelle die Emanzipation von den USA und ihrer politischen Unkultur zu stehen hätte. In Anerkenntnis dessen, daß man dieser geschichtsvergessenen und zum Erbrechen selbstgerechten Nation dennoch quasi ausgeliefert ist, kann man in der Zwischenzeit nur noch für einen Sieg Trumps beten – sofern man das nicht auch schon verlernt hat.

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