Von Klaus Lelek
Zwischen 1984 und 1987, in meiner Zeit als Redakteur bei der Allgemeinen Zeitung Mainz – Lokalredaktion Bingen, versuchte ich die Romantik am Mittelrhein abseits von Kitsch und Klischee, abseits von Drosselgasse, Buden- und Feuerzauber sowie lärmenden Weinfesten, die als Sauf und Fressorgien zweimal im Jahr ein paar Tausend Kurzzeittouristen nach Bingen locken, neu zu beleben. „Romantik“ ganz im Sinne der Menschen, die als Künstler, Musiker und Literaten eine Landschaft neu entdeckten, den Begriff „Heimat“ neu definierten und wie ein Eichendorff, Lord Byron, Turner, Caspar David Friedrich, Victor Hugo und Freiligrath nebst Wandervogelbewegung und Gartenlaube längst Vergessenes wieder in den Fokus zu rücken; mit Liebe zum Detail. Diese romantische Lebenseinstellung fand vor allem in meinen Artikeln großen Niederschlag. Ob unbekannte Orte der Bergbaugeschichte, Kohlenmeiler im Binger Wald, Hochseeschifffahrt auf dem Rhein, Berichte über Heimatfilme der Nachkriegszeit, bedrohte Kulturgüter wie die alte jüdische Schule, die dem Verfall preisgegeben wurden, stets stand ich mit gezücktem Stift bereit.
„Lebe im Untergrund“
Viele meiner Features und Reportagen standen in der „Binger Woche“, die ich zusammen mit der Schwesterausgabe „Ingelheimer Woche“ betreute. Ein Großteil meines journalistischen Engagements galt den Künstlern in und um Bingen. Zum Beispiel LSP, die mit ihrem Lokalhit „Lebe im Untergrund ungesund“ fast eine rheinhessische BAP-Version hinlegten. Oder „Colors of Soul“ mit ihrem britischen Frontmann, der zwar nicht singen konnte, aber wie Jim Morrison rüber kam. Und überall Sex, Drugs & Rock’n’Roll. In einer Pizzeria, um die sich Mafiagerüchte rankten, fanden Modeschauen und Discopartys statt, die von Frank Schröder, dem späteren Postboten der Schwarzwaldklinik moderiert wurden. An den Billardtischen wurde um Tausende von Mark gezockt. Ich war als eine Art „Beichtvater“, neutraler Beobachter und vor allem Vertrauensperson mitten drin, und da ich mich für die Szene engagierte und ihr eine Stimme verlieh, erfuhr ich Dinge, die meine Kollegen nie erfuhren. Zum Beispiel wusste ich bereits eine Woche im Voraus, dass die Punks Bingens Touristenveranstaltung „Rhein im Feuerzauber“ 1985 gründlich zerlegen würden. Der Oberpunk von Bingen und Organisator der subversiven Aktion gehörte zu meinen besten Freunden.
„Warme Sanierungen“ und ein „Amigobürgermeister“
Von vielen jungen Lesern hörte ich das traurige Kompliment, dass ich als erster Journalist mich überhaupt für die Szenekultur interessierte. Ähnliches war auch von bildenden Künstlern zu hören. Mit der Zahl meiner Freunde und mit meinem wachsenden Engagement wuchs auch die Zahl meiner Feinde. Unter ihnen auch der abgekochte, mit allen Wassern gewaschene, selbstherrliche „Amigobürgermeister“, der nicht selten sturzbetrunken mit offenem Hosenlatz über die Weinfeste torkelte und in dessen Amtszeit wertvolle Bausubstanz – knapp ein Viertel der historischen Altstadt – billigem Betonschrott weichen musste. Auch „warme Sanierungen“ kamen in seiner Amtszeit vor, ebenso wie der Ankauf von vergifteten Altlasten auf dem Gelände einer Holzfirma. Er hätte auch gut samt seinen Seilschaften in eine süditalienische Stadt gepasst. Zu den „Vasallen“ des tyrannischen und ungebildeten Hauptschulabsolventen mit Machtinstinkt gehörte auch der Redaktionsleiter der Lokalausgabe der Mainzer AZ, mein direkter Vorgesetzter. Dieser war der Prototyp eines verlogenen linken Intellektuellen. Er kungelte mit den Schwarzen und ließ bei den Roten, der SPD und den Gewerkschaften den Alt-68er raushängen. Er war der Hauptdrahtzieher in einer miesen, hinterhältigen, infamen Intrige, die meine von Idealismus und Menschenliebe geprägte journalistische Laufbahn als Zeitungsredakteur für alle Zeiten beendete. Starken Anteil an meiner Absägung hatten vor allem zwei Musikveranstaltungen auf dem Schweizerhaus, dem verhassten Schmuddelkind unter den Waldgaststätten. (Darüber habe ich bereits berichtet.)
Wie viel Watt verträgt das Binger Loch?
Auf dem Höhepunkt meines kulturellen Netzwerkes – ich war u. a. mit dem bekannten Farb-Designer von Garnier und dem Manager des Ingelheimer Kunstkellers befreundet –
reifte in mir die Idee, das romantisch gelegene, aber ziemlich heruntergewirtschaftete Schweizerhaus zum Austragungsort von Romantik-Festivals zu machen. Drei Veranstaltungen gingen, wie bereits berichtet, über die Bühne. Es hätten mehr werden können, aber am Ende fehlte mir abgehalftert und mittellos die Kraft.
Um mir nicht den Vorwurf einzuhandeln, ich würde nur als Traumtänzer und Schöngeist Szene und Kunst fördern und den profanen Kulturzirkus vernachlässigen, veranstaltete ich ein großes Schlager-, Rock- und Pop-Konzert auf Burg Klopp. Auf dem Programm standen als Zugeständnis an die Pächterin eine mittelmäßige Schlagersängerin (die Schwiegertochter), und als Hauptgang die Bombastrockband „Avalon“ aus Wiesbaden. Der Burghof war gerammelt voll, aber das Hauptpublikum waren die Binger Bürger, ganz ehrlich gesagt, alle Menschen, die im Umkreis von fünf Kilometern wohnten. Die Burg Klopp auf dem Hügel mitten in der Stadt ist nämlich vergleichbar mit dem Mittelpunkt eines Schalltrichters oder Riesenlautsprechers. Die Jungs, die eine Mischung aus Genesis, Supertramp und Fleetwood Mac spielten, legten sich voll ins Zeug und holten alles aus ihrem großen Equipment heraus. Die Berge des Binger Loches, inklusive gegenüberliegende Rheinseite, warfen die Schallwellen mit leichter Verzögerung, aber umso größerer Lautstärke zurück. Nicht alle braven Bürger lieben Bombastrock, es hagelte Beschwerden. Am Ende konnte ich diese, in der Geschichte Bingens einmalige Veranstaltung, nicht als Bonustrack verbuchen.
Geschlachtet wie ein Antiheld in einem bösen Südstaaten-Film
Ebenfalls negativ ausgelegt wurde mir das Engagement für ein kleines, am Rande der Existenz dahindümpelndes Provinzkino. Dass ich von Berufs wegen mit meinem Presseausweis keinen Eintritt bezahlte, wurde mir als „Bestechlichkeit“ ausgelegt.
Weil ich eine, bereits bezahlte, Zeitungs-Annonce im Wochenblatt unbezahlt, sozusagen als „Rubrikkennzeichen“ nochmals verwendete, wurde mir „Veruntreuung“ vorgeworfen.
Einen weiteren Nagel zu meinem Sarg schuf ich mir mit einem geplanten Bericht über die letzten von Bacharacher Bürgern denunzierten Juden. Alte Leute, die es nicht mehr geschafft hatten, rechtzeitig in die USA auszuwandern. Es klingt ungeheuerlich: Mein zweiter Vorgesetzter, der Anzeigenchef, war bekennender Antisemit, der sich nicht scheute, öffentlich die Mär zu verbreiten, einer seiner Verwandten wäre von einem „jüdischen Pferdehändler“ in den Ruin getrieben worden. Als er von meinen Plänen erfuhr, über die alte zum Wohnhaus umfunktionierte Synagoge zu schreiben und über die „ausgewanderten“ letzten Mitglieder, stand der Galgen zu meiner Hinrichtung bereit…
Lügenpresse hat mich lebenslang traumatisiert
So verlor ich blauäugiger Idealist und Menschenfreund mich immer mehr in einem dreckigen braun-schwarz-roten Sumpf aus Kleinstadtklüngel, Spießertum, Klein- und Engstirnigkeit, Parteienfilz und Niedertracht. Im November 1986, beinahe pünktlich zum Martinsfest – dem Patronatsfest der Stadt – war es dann soweit.
Ich wurde nach Mainz in die Zentralredaktion bestellt, um „wichtige Dinge mit mir zu besprechen“. Da ich dort schon beim Feuilleton oder bei der Redaktion „Wochenendjournal“ angeklopft hatte – und auch die Redakteure dieser Ressorts gut kannte, dachte ich natürlich: Die wollen mich endlich nach Mainz versetzen. Ich fiel aus allen Wolken, als ich plötzlich dem Personalchef und einem bis dahin mir unbekannten Chefreporter gegenüber saß. Nomen est omen. Der Mann hieß auch noch „Leicher“. Die Vertreter dieser widerwärtigen Lügenpresse kamen auch gleich zur Sache: „Wir haben vor, Sie fristlos zu entlassen!“ Dann hielten sie mir irgend so einen dreckigen, verlogenen Wisch unter die Nase und sagten: „Wenn Sie hier unterschreiben, bekommen Sie noch eine Abfindung.“ Aufhebungsvertrag nennt man so etwas im Amigo-Schweineland. Geschockt von so viel Dreistigkeit und Infamie, kapitulierend vor so viel Durchtriebenheit und Bosheit, unterschrieb ich.
Ein korrupter linker Betriebsrat gab mir den Rest!
Den größten Hammer erfuhr ich erst später. Auch die linke Drecksgewerkschaft „Druck und Papier“, die den Betriebsratsvorsitzenden stellte und die eigentlich gesetzlich verpflichtet war, mich zu schützen und zu verteidigen, war in dieses miese Komplott mit eingeweiht. Der Betriebsratsvorsitzende war ein guter Kumpel meines Chefs. Er machte von seinem Recht auf „Verschweigen“ Gebrauch. Später, als ich selbst Betriebsrat war, erfuhr ich, was es mit diesem „Verschweigen“ auf sich hat. Es ist eine stillschweigende Zustimmung zur Kündigung. So etwas machen Betriebsräte nur in äußersten Notfällen, also wenn eine fristlose Kündigung in absolut gravierenden Fällen berechtigt ist. Zum Beispiel bei Vergewaltigung am Arbeitsplatz oder wenn einer seinen Chef vor Zeugen schwer beleidigt oder ihm was über die Birne gezogen hat. Die korrupte linke Drecksau hat mich nicht einmal informiert.
Bei mir hat dieser hinterhältige feige Intrigant, der meine Kariere als Zeitungsredakteur zerstört hat – ich war anschließend nur noch in einer Presseabteilung und freiberuflich tätig – ein Trauma ausgelöst, das ich mein Leben lang nicht mehr losgeworden bin. Auch heute noch verfolgt mich diese Szene hin und wieder im Traum. Alle Therapien, diesen Alptraum loszu- werden, waren erfolglos. Doch langsam heilt die Geschichte meine Wunden und rehabilitiert mich für das Unrecht.
Wenn also heute Leute lautstark „Lügenpresse! Lügenpresse!“ skandieren, kann ich nur sagen: Brüllt noch lauter! Brüllt für mich mit! Lügenpresse gab es schon vor 30 Jahren. Doch in den letzten Jahren lassen sich die Leser nicht mehr verarschen. Es gibt Webseiten und Blogs, Facebook usw. Jeder kann heute Journalist sein. Wir brauchen die Berufslügner nicht mehr. Die Auflagen der verlogenen gleichgeschalteten Gazetten gehen zurück. Da fällt mir zum Abschluss noch ein böser Witz ein: Warum haben Mainstream-Journalisten so stromlinienförmige kleine Köpfe? Damit sie besser in die Ärsche von Politikern und Parteibonzen passen. Warum stinken Lügenreporter immer so aufdringlich nach Parfüm? Damit man ihre Scheiße nicht riecht!
So! Das musste jetzt raus! Denn wie heißt es so schön: Man soll aus seinem Herzen keine Mördergrube machen. Ich bin in dem Job gescheitert, weil ich keine Drecksau war. Darauf kann ich zornig zurückblickend ein wenig stolz sein.