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Kontroverse Meinungen // “Zentrum für politische Schönheit” (ZPS)

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Von Martin Sachse

Unter dem Motto “Die Toten kommen” hat das “Zentrum für politische Schönheit“ vor dem Kanzleramt am vergangenen Wochenende in Berlin mit einer Aktion auf die Situation von Flüchtlingen aufmerksam machen wollen. In der Ankündigung des ZPS ist zu lesen: “Gemeinsam mit den Angehörigen haben wir menschenunwürdige Grabstätten geöffnet und tote Einwanderer exhumiert. Sie sind jetzt auf dem Weg nach Deutschland…”

(Quelle: ZPS)

Die Aktion wird u.a. in der Süddeutschen Zeitung kritisiert: “Was bleibt aber? Das ZPS will zum Nachdenken anregen, aufrütteln, aufwecken. Nur wen eigentlich? Die Deutschen, die täglich mit dem Schicksal der Flüchtlinge konfrontiert sind, in den Medien, aber vielmehr noch in den Städten und Dörfern, in denen immer neue Unterkünfte gebaut werden? Es entsteht schnell der Eindruck: Die Künstler unterschätzen ihr Publikum. Sie wollen einem Land mit drastischen Mitteln vor Augen führen, worüber es seit Monaten redet. Und wer diese Mittel nicht gut findet, der steht in den Augen der Künstler und ihrer Anhänger schnell als empathielos da oder hat schlicht keine Ahnung davon, was “da draußen” tatsächlich abläuft… “

(Quelle: Süddeutsche Zeitung: “Die Mittel schaden dem Zweck” / 21. Juni 2015)

Bereits eine andere Aktion des ZPS, bei der die Kreuze für das Gedenken an die Mauertoten in Berlin entfernt wurden, hatte für Unmut gesorgt. In der Mail eines politisch Verfolgten der DDR heißt es dazu: “Nicht jede Grenzüberschreitung verdient Achtung! Und nicht jede Aktion ist durch die Kunstfreiheit gedeckt. Besonders geschmacklos ist für mich als DDR-Flüchtling auch die nachfolgende Aktion: “Die Installation „Weiße Kreuze“ ergriff vor den Gedenkfeiern zum 25. Jahrestag des Mauerfalls kollektiv die Flucht aus dem Regierungsviertel in Berlin. Die Mauertoten flüchteten in einem Akt der Solidarität zu ihren Brüdern und Schwestern über die Außengrenzen der Europäischen Union, genauer: zu den zukünftigen Mauertoten.” Die Mauertoten konnten nicht mehr gefragt werden. Und sie hätten sicher anders entschieden! Oder waren die politisch Verfolgten, Flüchtlinge, in Psychiatrien der DDR Ermordeten und Mauertoten ihre Freunde, die Sie verloren haben?!”, so ein Auszug aus der Mail.

Eine erbetene zeitnahe Beantwortung erfolgte nicht. Auch keine nicht-zeitnahe. So viel erneut zur Streitkultur.

Das sich das ZPS mit Bezug auf die “Brüder und Schwestern” dabei auf eine Formulierung aus der Zeit des Kalten Krieges und der deutschen Teilung bezieht ist abstoßend. Durch Krieg und Teilung waren deutsche Familien getrennt worden. Notwendige Solidarität (mit wirklich Verfolgten) und die Familienbande deutscher Familien zu vermengen, verbietet sich von selbst. Familie entsteht nicht durch aufoktroyieren, sondern wird über Jahrhunderte geprägt. Das betrifft die Familie im engen Sinne wie auch die Familie im Sinne eines Volkes. Derzeitige Bestrebungen, dies zunehmend in Frage zu stellen, sind Ausdruck einer Verachtung der eigenen Kultur und Werte. Trotz Trennung und unterschiedlicher politischer Systeme in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg existierte der kulturelle innere Zusammenhalt weiter. So viel zum Thema “Brüder und Schwestern”.

Das ZPS hat bei vielen Menschen Irritationen ausgelöst und die Gefühle von Verfolgten der DDR verletzt.

PS: Ein anderer Ort mit ähnlicher Bedeutung.

Mauerkreuze am Checkpoint Charlie, Berlin // Fotografie: Martin Sachse // 2004

Am 31. Oktober 2004 wurde das neu errichtete Mahnmal am Checkpoint Charlie mit einem Teilnachbau der Berliner Mauer und Mauerkreuzen eingeweiht. Initiiert wurde es von Alexandra Hildebrandt (Museum am Checkpoint Charlie). Am 5. und 6. Juli 2005 kam es nach einem Rechtsstreit zur Räumung. Der einzige “Gewinn” dieser Räumung besteht nun darin, dass dieser Ort nicht mehr für missbräuchliche “Nutzungen” (wie die oben beschriebene) zur Verfügung steht.

Die zufällige Nachbarschaft des Plakates “Ehrlich schmeckt am längsten” hatte dem Ort ungewollt einen zusätzlichen Sinn gegeben. Auf diese Ehrlichkeit – oder auch Aufrichtigkeit sollten sich alsbald einige “Protagonisten” wieder rückbesinnen. Aufrichtigkeit hat seinerzeit politisch Verfolgte der DDR ausgezeichnet.

Nachtrag 25. Juli 2015

Offener Brief an Frau Dr. Anna Kaminsky (Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur)

Sehr geehrte Frau Dr. Kaminsky,

Sie beabsichtigen zu einer Veranstaltung am 11. August 2015, 2 Tage vor dem 13. August, der dem Gedenken an die deutsche Teilung und den Toten an der innerdeutschen Grenze gewidmet ist, das ZPS (Zentrum für politische Schönheit) zu einer Podiumsdiskussion einzuladen. Das ZPS hat mit dem Entfernen der Mauerkreuze für eine Aktion die Gefühle politisch Verfolgter der DDR verletzt. Deshalb bitte ich die Stiftung, von einer Einladung abzusehen.

Ich verweise auf meinen Beitrag unter:

https://text030.wordpress.com/2015/06/23/kontroverse-meinungen-zentrum-fur-politische-schonheit

Mit freundlichen Grüßen

Martin Sachse

 

Nachtrag 25. Juli 2015 // 02

Die Vereinigung 17. Juni 1953 e.V. veröffentlichte zu diesem Beitrag einen Artikel. Dort heißt es u.a.:

“Stiftung Aufarbeitung: Einladung an Provokateure

Berlin, 25.07.2015/HB – Die Bundesstiftung Aufarbeitung lädt ausgerechnet zum Jahrstag des Mauerbaus den Sprecher des „Zentrum für politische Schönheit“ Philipp Ruch ein. Am 11.August, 18:00 Uhr (Kronenstraße 5) sollen ein Fluchthelfer (Ralph Kabisch), eine versuchte Republikflüchtige (Konstanze Helber), die Aufarbeitungsfunktionärin Dr. Maria Nooke (Leiterin Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde) und Uta Sternal (Leiterin Übergangswohnheim Marienfelde des IB) über das Thema Flucht und Fluchthilfe in Deutschland: Grenzen überwinden – auch in der Erinnerungskultur? diskutieren.

Die Terminplaner haben diesmal offenbar keine glückliche Hand gehabt. Mit Konstanze Helber lädt die Stiftung ausgerechnet eine Frau ein, die sich mit Verve für die Auflösung des Frauenkreises der ehemaligen Hoheneckerinnen (DDR-Frauenzuchthaus Hoheneck) eingesetzt hat und einsetzt (der Rechtsstreit geht ggw. in die zweite Instanz) und damit für eine Lähmung der Aufarbeitung speziell in Hoheneck (Aufbau einer Gedenkstätte) mitverantwortlich zeichnet. Mit Philipp Ruch wird neben Helber ein weiterer Provokateur eingeladen, der im letzten Jahr ein Denkmal an die Toten der Mauer schändete, um aktuell Polit-Clownerie zu veranstalten. Warum der iranische Künstler, Ahmed Barakizadeh, angefragt wurde, erschließt sich dem Außenbetrachter ebenso wenig. Mag die Einladung der Leiterin des Übergangswohnheims in Marienfelde dem Thema angemessen sein, so erscheint die Vertretung der Buchautorin Dr. Maria Nooke eher als Verbeugung vor den Usancen gegenüber der Aufarbeitungslobby bestimmt zu sein….”

(Quelle: Vereinigung 17. Juni 1953 e.V., den gesamten Artikel finden Sie unter: http:// www.17juni1953.de)

Nachtrag 27. Juli 2015

Bereits vor längerer Zeit wurde die Stiftung Aufarbeitung DDR angeregt, sich der beiden nachfolgenden Themen anzunehmen. Dazu wurden mit Frau Dr. Kaminsky Gespräche geführt. Leider blieben diese bis heute ergebnislos. Das Verhalten der Stiftung in Bezug auf die Themen und Referentenauswahl sowie Auswahl von Zeitzeugen irritiert viele Betroffene von DDR-Unrecht und es stellt sich die Frage, wer über Themen und ihre Relevanz entscheidet.

Links zu den beiden Themen auf diesem Blog:

  1. “Chronik eines NVA-Unfalls”
  2. “Das DDR-Fernsehen – eine InnenSicht”

Nachtrag 30. Juli 2015

Der offene Brief an die Stiftung Aufarbeitung DDR blieb bis dato unerwidert.

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