Von Klaus Lelek
Wie die FAZ schon in der Überschrift die Wahrheit verdreht. Hugo Ball (geboren am 22. 2. 1886) war ein großer Kenner und Bewunderer der heute verfolgten orientalischen Christen.
„DADA LEBT UND GOTT IST TOT“, schreiben die halbgebildeten, hoch dotierten Kulturfuzzis der FAZ dieser Tage über das legendäre Züricher Kabarett “Voltaire”, das dieses Jahr sein hundertjähriges Jubiläum feiern könnte. (Und natürlich nur noch als Nostalgie-Rumpelkammer der Spätmoderne existiert.) Doppelt dumm diese Plattitüde, denn die schillerndste Figur dieser Szene, HUGO BALL, Gründer des “Voltaire”, der dieses Jahr 130 wird, war ein Mystiker, Gottsucher und spiritueller Künstler, der besonders vom orientalischen Christentum angetan war.
Die Eliten des agnostischen, islamophilen Kulturbetriebes kennen nur seine dadaistischen Gedichte. Eines davon, die Karawane „blago bung blago bung bosso fataka ü üü ü“ mußte sogar für einen BMW-Werbespot herhalten. Ein Schelm, der jetzt Böses dabei denkt oder gar den Dichter in den Trialog-Motor der Quandt-Stiftung stecken will. Nein, Hugo Ball war alles andere als ein nihilistischer Kulturbanause, der kritiklos vor den Kampfaufrufen des Koran einknickte oder wie ein Primaner Schmalspurphilosophie betrieb. Er war einer der letzten großen Künstler der Moderne, der in der Schatzkammer des Christentums suchte und fündig wurde, wie vor ihm bereits Rainer Maria Rilke und sein großer Weggefährte Hermann Hesse, dessen bis heute unübertroffene Biografie Balls Feder entsprang.
Nächste Woche, am 22. Februar, hat Ball Geburtstag. Lange Zeit waren seine unvergeßliche Hesse-Biographie und einige selten gekauften Gedichtsbände das Einzige, was man von ihm auf dem Buchmarkt bestellen konnte. Jetzt ist sein komplettes Werk wieder zu haben, darunter auch „Byzantinisches Christentum“, eine wahre Fundgrube für alle, die sich mit der spätantiken Kirche des Orients beschäftigen, zu der auch Aramäer, Libanesen und Kopten gehören. Es behandelt das Leben von Johannes Klimax, Dionysius Areopagita und dem legendären Symeon der Stylit, besser bekannt als „Säulenheiliger“.
In Hugo Balls Buch erfährt der Leser alles über neuplatonische Philosophie, gnostische Magie, Engel-Hierarchien und spätantike Mystik. Gedanken und Glaubensmodelle, die weit über das Christentum hinausreichen und als göttliche Urbilder in anderen Formen über den ganzen Erdball verstreut die Grundfragen der Menschheit berühren.
Eines der schönsten und zugleich geheimnisvollsten Stellen in „Byzantinisches Christentum“ ist die Begegnung zwischen einem Sarazenenfürst und dem zum Skelett abgemagerten Styliten, eine Begebenheit, die genauso in Indien oder China stattfinden könnte, vorausgesetzt, man begreift Kulturen und Religionen als unterirdische Flüsse, die alle, bis auf „wenige Ausnahmen“ miteinander verbunden sind. Vorausgesetzt, dass man sie nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen liest.
“Ein Sarazenfürst kommt in der Christnacht zu Symeon, der mit erhobenen Beine steht, sechzehn Jahre lang, unverwandt, weil ihn die Schnellfahrt der Zeit zu ergreifen drohte. Den Sarazenen wirft Gottes Wunder, wirft dieses Standbild des Jammers zu Boden. Er klagt seine Sündenlast in die Nacht. Da fällt, als er schon wieder gehen will, von der Säule ein Gegenstand. Er wendet sich um, greift in das Dunkel und hält einen Wurm in der Hand. Eilends will er davon. Der Heilige ruft ihn zurück. „Wirf deine Last ab; laß hier, was von mir niederfiel. Was willst du deinen Glanz damit beschweren? Verwesung ist Sünde.“
Der Sarazene eilt zurück: „Laß mir den Wurm zur Erinnerung meiner Einsicht. Laß ihn mir als Zeichen aller Vergänglichkeit.“ Der Heilige: „Öffne die Hand!“ Er öffnet die Hand. Sie enthält eine Perle…