Von Konrad Kustos
Es sprach der Papst auf Lesbos: „Wir sind alle Flüchtlinge.“ OMG. Was er damit wohl gemeint haben mag? Ist er ein Flüchtling vor der Wahrheit? Oder vor der Realität? Oder vor den Zuständen seiner Heimat? Wenigstens hat er in Deutschland noch kein Asyl gefordert. Die zitierte Phrase steht im übrigen stellvertretend für die moderne Politik der Mächtigen und ihrer Handlanger, die glauben, das Offensichtliche einfach umlügen zu können. Denken wir nur an Berlins Bürgermeister Michel Müller, der hinsichtlich des Flüchtlingszustroms äußerte: „Den Punkt, an dem ist nicht mehr geht, sehe ich noch lange nicht.“ Wir lernen, dass das System sich nicht nur wie hier ansonsten beschrieben gemäß struktureller Faktoren entwickelt, sondern dass es immer auch einen subjektiven, individuellen, wenngleich nachrangigen Faktor gibt. Diesmal geht es hier also um den persönlich politischen, also eher vordergründigen Aspekt des Niedergangs – und wer wäre dafür eine bessere Kristallisationsfigur als Angela Merkel… Die Kenntnis ihrer Politik kann hier weitgehend vorausgesetzt werden, reden wir also gleich über ihre Methoden und ihre Rezeption. Ihre Position verdankt sie wohl hauptsächlich ihrer Härte und ihrem Durchsetzungsvermögen innerhalb der Partei und ihrer geradezu unheimlichen Flexibilität sei es beim Klimawandel oder der Atompolitik oder der Verwandlung von Leitkultur in Leidkultur. Eigentlich aber war und ist sie schon durch ihre Sprache, ihr Aussehen und ihr Auftreten immer eine Witzfigur gewesen, von der die Medien uns gleichzeitig immer erzählt haben, dass sie erstens eine Frau und damit prinzipiell schau sei und zweitens im Ausland ein starkes Deutschland repräsentiere. Die Ausländer freilich sahen sie oft ganz anders: eher als eine Kuh, die man melken könne und gleichzeitig eine starrsinnige, irrationale und letztlich lächerliche Vertreterin ökonomischer Macht.
Der französische Parlamentarier Malek Boutih, für die dortigen Sozialisten Spezialist für Integration und Antirassismus, sagte beispielsweise: „Merkel hat im Alleingang ohne jede Abstimmung mit den großen Ländern in Europa entschieden und die Grenze geöffnet. Ich glaube, sie hat eine Art von Größenwahn.“ Sie habe mit der Dublin-Regel geltendes EU-Recht außer Kraft gesetzt, mit der Überfremdung stärke sie die Rechtspopulisten und bringe die Demokratie in Gefahr. „Manche finden, Merkel solle den Friedensnobelpreis bekommen. Aber es gibt keinen Nobelpreis für die Destabilisierung eines ganzen Kontinents.“
Ähnlich äußerten sich der französische Premierminister Manuel Valls („Wir können nicht noch mehr Flüchtlinge in Europa aufnehmen – das ist nicht möglich“) und der EU-Ratspräsident Donald Tusk („Diese Flüchtlingswelle ist zu groß“). Selbst der schwedische Integrationsminister musste einräumen „Wir haben die Grenze erreicht“ . Die Erkenntnis ging nicht nur an Politikern nicht mehr vorbei, sondern auch am neuen Wirtschafts-Nobelpreisträger Angus Deaton: „Zu viele Einwanderer werden Europa destabilisieren“, Deutschland sei kurz vor dem Limit.
Kritische Aufmerksamkeit immerhin erregte in Deutschland der Philosoph Peter Sloterdijk, der von einer „Politik des Souveränitätsverzichts“ sprach und auch sonst starke Worte fand: „Es gibt keine moralische Pflicht zur Selbstzerstörung“ und „Man kann nur dann eine sinnvolle Willkommenskultur bilden, wenn man entscheidet, wer herein darf und wer nicht. Sich bloß überrollen zu lassen, ist unwürdig“.
Im Ergebnis allen Unbehagens wurde die Balkanroute geschlossen, was Merkel als einen Sieg feierte, obwohl sie doch alles versucht hatte, dies zu verhindern. Das entspricht genau ihrem grundsätzlichen Wesen: Erst Opportunismus und dann, wo der versagt, Starrsinn. All jene, die sagen, die Politik Merkels habe keinen Sinn, haben nicht an diesen Starrsinn gedacht.
Alexander Kissler verglich sie im Focus mit einem Geisterfahrer, der „sich gegenüber allen entgegenkommenden Fahrzeugen desto munterer im Recht wähnt, je forscher diese auf ihn zusteuern. Weiter milde lächelnd agiere sie hart gegenüber jenen, „die ihren forcierten Fatalismus bezahlen müssen, den Lokal- und Regionalpolitikern, den Polizisten und Beamten, den Ehrenamtlichen, letztlich auch den Obdachlosen.“ Um diese Härte gegenüber ihrem eigenen Volk als moralische Stärke zu verkaufen, fordere sie „ein „neues Denken“ ein. Mit diesem neuen Denken will sie wohl das Gute mit der Gießkanne verteilen, selbst wenn schon längst kein Wasser mehr darin ist.
Hätte dies nicht so fatale Auswirkungen (nicht nur) auf Deutschland, wäre Merkel mit all dem deutlich lustiger als der Mainstream-Clown Böhmermann. Hier zum Beleg einige bezeichnende klassische Zitate „Wir schaffen das, und wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden.“ „Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ „Abschottung und Abriegelung sind im Zeitalter des Internets eine Illusion.“ .“ „Es gehört zur Identität unseres Landes, Großes zu leisten.“ „Man kann mit Willen sehr, sehr viel schaffen.“ „Ja, ich habe einen Plan.“
Da steht sie nun vor der innerhalb weniger Tage kurzerhand geschlossenen Balkanroute, glaubt an die spirituelle Kraft des Willens und der leeren Worte und spricht mit nationalen Phrasen weltbürgerlich von einem Plan, den es nicht gibt. Diese Frau ist ein Problem für Deutschland, aber sie hat auch ein mächtiges Problem mit sich selbst. In einem Interview mit der Huffington-Post skizzierte der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz ein erschreckendes Persönlichkeitsbild, das nur von im Internet kursierenden Bildern ihrer bis auf das Blut abgekauten Fingernägel getoppt werden kann.
Für Maaz trifft Merkel zunehmend emotionale Entscheidungen und zeigt dabei Selbstwertdefizite und Unsicherheit. „Das Problem ist: Man muss fürchten, dass Merkel selbst glaubt, sie sei die mächtigste Frau der Welt. Durch dieses künstlich aufgeblasene Selbstbild kommt eine sture Haltung zustande wie derzeit in der Flüchtlingskrise. Psychotherapeuten sprechen in so einem Fall von seelischer Verpanzerung. Menschen, die eine tiefe innere Bedürftigkeit oder Not haben, müssen Kritik radikal aus der Wahrnehmung verdrängen. Man lässt keine Kritik von außen zu, und man schottet sich auch von der Innenwahrnehmung und den eigenen Gefühlen ab.“
Dies werde auch bestätigt durch die häufige Verwendung des Wortes „alternativlos“. „Das ist natürlich Unsinn, denn es gibt keine Situation, die alternativlos ist. Dass sie das Wort benutzt, ist aber ein Hinweis auf ihr Seelenleben. Sie lässt keine Bedenken zu, es gibt keine Ambivalenz.“ Und sie werde deshalb auch nicht freiwillig abdanken. „Der Vergleich ist vielleicht hart, aber mich erinnert Merkel an Erich Honecker, als er in das Flugzeug nach Chile steigt und zum Abschied die Rotfrontfaust erhebt. Zu sagen man irrt sich, stellt das ganze bisherige Leben in Frage. Das können Narzissten nicht.“
Wohl aber beherrscht sie als Spitzenpolitikerin das Instrument der Täuschung. Nachdem die herrschenden Blockparteien unter ihrer Führung bisher bei ihrem Wahnbann gegen die AfD in Wortwahl und Wahrheitsgehalt sich nicht vor einem bekannten deutschen Propagandisten der vorangehenden Regierungsform verstecken mussten, spricht sie nun nach diversen Wahlniederlagen von „guten Argumenten, uns mit anderen Meinungen, auch denen der AfD, auseinanderzusetzen, und zwar ohne jeden Schaum vor dem Mund und ohne pauschale Urteile“.
Manche sahen schon einen Kurswechsel voraus, um den Sturz ihrer Partei ins Bodenlose zu verhindern. Doch ein solcher Kurswechsel wäre einer Narzisstin nach Maazscher Definition nur auf dem Höhepunkt der Macht und nicht inmitten des Zusammenbruchs möglich. Deshalb nutzte die Kanzlerin gleich nach ihren Schalmeientönen einen Schulbesuch in Berlin, um zu dementieren: „Es gibt keinerlei neue Strategie, sondern es gibt die Aufgabe, die noch entschiedener gemacht werden muss aus uns heraus selbst darzustellen, was wir wollen, wohin wir gehen, welche Überzeugungen uns tragen.“ Schade, dass es den Berliner Sportpalast nicht mehr gibt, wo man schon vor einiger Zeit gehört hatte, dass eine gescheiterte Strategie im Angesicht der Katastrophe noch entschiedener zu verfolgen sei.
Man sollte aber nicht den Fehler begehen, Merkel nur als Irre zu beschreiben. Genauso ist sie auch ein hochspezialisierter Kader des Systems, der bestimmte Interessen auf Teufel komm raus durchzusetzen hat. Darauf werde ich in einem anderen Post noch eingehen. Wir können aber festhalten, dass sich staatsmännisches Verhalten heute eher in den Vorständen von Fußballclubs findet als in der Politik.
Demgegenüber steht ein langsamer Erkenntnisprozess der Wählerschaft. Einer Insa-Umfrage von vergangener Woche zufolge wollen 64% aller Befragten nicht, dass Merkel Bundeskanzlerin bleibt, in Sachsen und Thüringen sind es fast 80%. Ihre Partei, die CDU/CSU kann nur noch auf 30% Wählerstimmen hoffen. Sollte die Kanzlerin wider Erwarten als Damenopfer einem neuen Frontmann des Systems weichen müssen, besteht kein Grund zum Jubeln. Das politische System einer Demokratie des Niedergangs stellt durch Seilschaften, Abhängigkeiten, Beeinflussung durch Experten im Sold des Postkapitalismus und durch selektive Beförderung sicher, dass kein Volksvertreter im Sinne des Wortes an die Spitze einer Mainstream-Partei gelangt. Doch wenn die Kühlerfigur ausgetauscht wird, ist wohl auch die Bereifung fällig. Es steht zu befürchten, dass der Druck auf die Menschen dieses Landes sogar noch erhöht wird.