Von Nikolaus Fest
Abendgespräche über die historische Bedeutung der Kanzlerschaft Merkels. Ein Freund kann keinerlei überzeugende Leistung erkennen, ein anderer widerspricht vehement: Merkel werde zweifelsfrei als die bedeutendste Staatslenkerin der deutschen Geschichte gelten. Auf unsere fragenden Blicke der Nachsatz: „Die vielen Neubürger werden dafür schon sorgen.“
Generell die Ansicht: Der große Mangel der deutschen Politik, vor allem aber der Regierung, ist ihre technokratische Geschäftlichkeit, ihre Dienst-nach-Vorschrift-Mentalität. Politik als Beruf, nicht als Berufung. Nirgends sei der Stolz auf westliche Werte zu spüren, wie sie manch amerikanischer Präsident oder Thatcher zeigten, keiner der deutschen Abgeordneten atme Begeisterung für Liberalismus, Demokratie, Republikanismus, niemand scheine diese Werte noch ernst zu nehmen. Jeden Angestellten, der so wenig Herzblut für seinen Beruf offenbarte, würde man fragen, ob er nicht woanders glücklicher wäre. Merkels berühmte Raute als Symbol für innere Distanz und fehlende Passion. Geschäftserledigung ohne Feuer und Idee.
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„Wenn die Flüchtlinge schon hier sind, muss man sie auch gut behandeln.“ Einer der unhinterfragbaren Glaubenssätze der herrschenden Trivialcaritas. Wer es dennoch tut, kann jede Party sprengen. Tatsache ist: Fast 100 Prozent der hiesigen Asylbewerber und Wirtschaftsflüchtlinge melden sich unter klarem Verstoß gegen Dublin III. Richtig müsste es daher heißen: „Wenn die Einbrecher schon im Haus sind, sollte man ihnen auch Geld, Schmuck und ein Bett anbieten.“
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Der einzige Beruf, an dem Deutschland keinen Mangel an Facharbeitern leidet: Menschenrechtsbeauftragter.
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Von wem stammt folgender Satz? „Wir besitzen den Schlüssel zur wahren europäischen Ordnung. Wir haben das Geheimnis gefunden, wie man den Frieden in Europa erhalten kann.“ Juncker? Barroso? Merkel? Leider daneben. Urheber war der nationalsozialistische Anchorman des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, Hans Fritsche, in seiner wöchentlichen Radiosendung ‚Hier spricht Fritsche’, am 22. März 1945. Ein Satz im Angesicht des Untergangs, zwischen Realitätsverweigerung und Zynismus. Das gilt mit Blick auf Europa unverändert.
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Ein früherer Kollege aus dem Investigativressort der BILD tat sich einst hervor als besonders scharfer Kritiker des Limburger Bischofs Tebartz-van Elst. Nun höre ich: Der Hauptwidersacher von Tebartz-van Elst innerhalb der Kurie, der Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz, ist Pate der Ehefrau des Reporters, hat zudem das Paar getraut. Journalistische Unabhängigkeit ist manchmal Glaubenssache.
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Eine Freundin erzählt, die Klassenlehrerin ihrer 16-jährigen Tochter habe nach den Werten gefragt, die den Schülern wichtig seien. Nach längeren Diskussionen hätten die Gymnasiasten sich auf folgende Rangordnung geeinigt: 1. Toleranz, 2. Tierliebe, 3. Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit, 4. Chancengleichheit, 5. Soziale Sicherheit, 6. Religionsfreiheit. Erst auf Platz 7 kommt Demokratie; Meinungs- oder Pressefreiheit wie auch Rechtstaatlichkeit finden keine Erwähnung.
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Mit dem Niedergang der nationalen Idee hat das Internationale Statur und Prestige gewonnen. Stand der Begriff bis in die 1970er Jahre für Lied- und Gedankengut kommunistischer Demokratiefeinde, wird heute mit Internationalität vor allem Weltläufigkeit, Offenheit und die Hoffnung auf Frieden verbunden. Ob diese Versprechen immer eingelöst werden, sei dahingestellt. In jedem Fall: ‚National’ möchte kaum jemand mehr sein. Und selbst in der Politik stößt das Bekenntnis zu vorrangig nationaler Interessenswahrnehmung, wie es der Eid der Abgeordneten nahelegt, in vielen Parteien auf deutliche Vorbehalte – wenn nicht sogar, wie bei GRÜNEN oder LINKE, auf offene Ablehnung.
Das hat im Politischen seinen Preis. War je eine Stimme aus den Reihen der deutschen Sozialdemokraten zu vernehmen, welche die jahrzehntelange Mißwirtschaft der sozialistischen PASOK in Griechenland kritisierte? Hat die SPD die offene Ausplünderung des griechischen Staates durch ihre Parteifreunde nicht gesehen, oder haben sie es nicht sehen wollen? Gewiß, Helmut Schmidt meinte 2011, mit ihm hätte es die Aufnahme Griechenlands in den Euro nicht gegeben. Aber der Altbundeskanzler ist längst als Meister der nachträglichen Warnung bekannt, und wäre es allein nach ihm gegangen, hätte wohl auch der bethlehemitische Kindermord nicht stattgefunden. Mit Blick auf Griechenland muss man jedenfalls konstatieren: Das Versagen der griechischen Sozialisten ist auch ein Versagen der deutschen. Während sie die Militärdiktatur der Obristen immer wieder scharf angingen, fanden sie für die Totalkorrumpierung der griechischen Demokratie durch ihre Gesinnungsgenossen keine Worte. Und auch heute gibt es in der SPD niemanden, der mal nach den Risiken internationaler Solidarität fragt.
Keinen geringen Anteil an dieser falschen Rücksichtnahme haben auch Brüssel und Straßburg. Viele Parlamentarier, Beamte und Mitglieder der Exekutivorgane sehen sich dort täglich. Man kennt sich, schätzt sich, bildet Fraktionen, Interessensgruppen, Seil- und Freundschaften. Der Beginn des ewigen Do ut Des – und der Verlust der nötigen Distanz. Kein Wunder somit, dass weder die Statistik-Behörde Eurostat noch die Europäische Zentralbank oder das Parlament die Verschuldung der europäischen Länder auf die Agenda setzten. Zwar werden viele die Entwicklung gesehen haben und Fachleute, aber auch EU-Kritiker wie Nigel Farage, haben oft genug gewarnt. Aber ohne Erfolg. Der Gedanke der Freundschaft und internationalen Solidarität, wie auch der Zusammenhalt unter den EU-Parlamentariern wogen offensichtlich schwerer als alle Hinweise auf die aus dem Ruder laufende Verschuldung. Auch hier die alte Weisheit: Beziehungen korrumpieren mehr als Geld. Wie einst im Ostblock deckte der Fetisch der internationalen Solidarität alle Probleme zu, verhinderte rechtzeitige Maßnahmen. So gehört es zu den interessantesten Fragen, ob das Desaster der Staatsschuldenkrise auch dann eingetreten wäre, wenn sich die deutschen Parteien weniger dem Internationalismus als deutscher Interessenspolitik verpflichtet gefühlt hätten – und ob ein vernünftiger Nationalismus der Friedenssicherung und dem Verständnis der Völker nicht zuträglicher ist als der Glaube an den angeblichen Geist der europäischen Gemeinschaft.
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‚Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!’ In der Griechenlandfrage tut die SPD alles, um dieser alten Gehässigkeit noch im nachhinein Berechtigung zu verschaffen.
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„Es hat nie eine arabische Modernität gegeben. Gesellschaften, die sich auf ein religiöses Menschenbild gründen, können nicht modern sein.“ Der Schriftsteller Ali Ahmed Said Esber