Von Vera Lengsfeld
Bevor mir sein neues Buch zugeschickt wurde, kannte ich den Schweizer Autor Volker Mohr nicht. Zu Unrecht, wie ich nach der Lektüre feststellen musste.
Die Eingangsszene von „Die letzte Fahrt „ könnte alltäglicher nicht sein. Der Protagonist, Moor, als Alter Ego des Autors leicht zu erkennen, sitzt in einem ICE nach München. Es ist drückend heiß, die Klimaanlage funktioniert nicht. Moor kommt unwillkürlich der Gedanke, „dass der geistige Klimawandel, der sich im Schatten der globalen Erwärmung vollzog, wesentlich bedeutender und folgenreicher sein würde.“ Warum nur weist der Schaffner bei der Fahrkartenkontrolle auf einen Speisesaal und einen Schlafwagen am Ende des Zuges hin? Moor beschließt, diese Bemerkung als einen verfehlten Scherz abzutun.
Der Zug hält in Ulm. Moor hat nun zwei Mitreisende, einen Mann und eine Frau. Es kommt zu einem kurzen Gespräch, ob man an schicksalhafte Fügungen glaube, dann beschäftigen sich alle drei mit ihrer Reiselektüre. Der Zug nähert sich seinem Ziel. Vor dem Fenster ziehen bereits die üblichen Vorstadtbauten vorbei. „In wenigen Minuten erreichen wir München“, tönt es aus dem Lautsprecher. Doch das geschieht nicht. Der Zug fährt und fährt, München scheint sich verflüchtigt zu haben. Spätestens hier wird die Situation kafkaesk. Die Reisenden wissen nicht, wie ihnen geschieht. Das Zugpersonal gibt keine Auskunft. „Sie fragen mich nach dem Reiseziel? Das klingt so, als wären Sie aus Langeweile in den Zug gestiegen- wahrscheinlich sogar ohne gültige Fahrkarte“, antwortet der Schaffner.
Je länger die Fahrt dauert, je unklarer die Situation wird, desto unbesorgter erscheinen die Mitreisenden. Das Kollektiv tut so, als wäre alles in Ordnung. Moors männlicher Mitreisender mischt sich sehr bald lieber unter die anderen Reisenden, die unbesorgt weiter fahren, als hätten sie ganz vergessen, dass sie mal ein Ziel hatten, als Moors Betrachtungen, warum der Zug München nicht erreiche, weiter zu ertragen.
Nur die Frau ist bereit, ihn bei seinem Versuch zu unterstützen, zu erfahren, was vor sich geht. Es gelingt ihnen nicht. Am Ende haben die beiden nur die Wahl, sich ihrem ungewissen Schicksal zu ergeben, oder es in die eigenen Hände zu nehmen. Sie entschließen sich, als der Zug kurzzeitig sein Tempo verringert, abzuspringen. Sie erlangen ihre Freiheit wieder.
Die Geschichte ist eine Parabel auf unsere Gesellschaft, die zunehmend abgestumpft und fremdbestimmt durch das Leben treibt. Nur wer selbst denkt und Fragen stellt, Antworten verlangt und Alternativen wählt wird dem Schicksal der Gleichgültigen entgehen.
Trotz des schweren Inhalts ist das Stück in einer leichten, flüssigen , dennoch zwingenden Sprache geschrieben, die Lust macht, mehr von diesem Autor zu lesen. Da gibt es noch „Der Verlust des Ortes“ über „FGJ“, Friedrich Georg Jünger, den jüngeren Bruder des berühmten Ernst und „Morgenland“ , das die von Michel Houellebeq gestellt Frage, ob die Gesellschaft eine Insel sein könne, optimistischer beantwortet, als Mohrs französischer Kollege. Wer noch Sommerlektüre braucht: alle Bücher von Mohr sind im Loco- Verlag erschienen.
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/die_letzte_fahrt