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DER ZAUNKÖNIG

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Erdingers Weissheiten – Das Schlimmste von gestern 

Von Max Erdinger

Meinereiner erinnert sich gern an Riverside, einen Vorort von Chicago, etwa zehn Kilometer westlich des Stadtzentrums. Das ist ein ruhiges, gediegenes Stadtviertel, in dem es viele Häuser nach Plänen von Frank Lloyd Wright gibt. Die Straßen verlaufen in Bögen, daneben gibt es einen Grünstreifen, neben dem wiederum gibt es einen Gehweg und daran schließen sich die Vorgärten der Grundstücke mit den teils sehr sehenswerten Privathäusern an. Zäune sieht man nirgendwo. Ich fand immer, daß das wesentlich besser aussieht, als vergleichbare Stadtviertel in Deutschland, wo jedes Grundstück eingezäunt oder ummauert ist. „Na ja, andere Mentalität“, dachte ich mir, „Deutsche sind halt Zaunkönige“. Und nun das:

http://mobil.ruhrnachrichten.de/staedte/schwerte/An-der-Binnerheide-in-Schwerte-Ost-Unternehmer-baut-Grenzbarriere-gegen-Fluechtlinge;art937,3136236

In Schwerte wohnt der unbestrittene König der Zaunkönige. Ein Unternehmer sicherte sein Grundstück mit dem Zaun aller Zäune gegen das Betreten durch „Flüchtlinge“. Einen derartigen Zaun hat man zuletzt am 5.Juni 1944 gesehen. In der Normandie am Strand. Er sollte die alliierten Landungstruppen davon abhalten, französischen Boden zu betreten. Ein wahrhaft martialisches Bauwerk. Junge Männer aus Syrien, dem Irak, Iran und Afghanistan seien fassungslos, schreiben die Ruhr-Nachrichten. Sie sind Bewohner des benachbarten Flüchtingsheimes und hatten sich trotz wiederholter Aufforderung, das Grundstück der Firma Stahl-Hesse nicht zu betreten, immer wieder dorthin begeben, weil der Handy-Empfang besser ist. Im Flüchtlingsheim gibt es kein WLAN. Ein Flüchtlingsheim ohne WLAN scheint ein Unding zu sein, so ähnlich, wie eine Weißwurst ohne Senf. Weil das also so ein Unding ist, schreiben die Ruhr-Nachrichten auch, daß es die Stadt Schwerte „versäumt“ habe, dort WLAN zu installieren. „Schweres Versäumnis“ hätte meinereiner geschrieben. Mit zwei Ausrufezeichen. Hoffentlich gibt es wenigstens einen beheizten Pool und eine Sauna. Flüchtling ohne WLAN ist so schlimm wie Milliardär ohne Privatjet. Ach, was rede ich: Menschenunwürdig ist das.
Der überaus martialische Zaun, in einer Stahlbau-Firma natürlich expertenhaft konstruiert aus abgesägten Stahlprofilen mit rasiermesserscharfen Klingen auf dem eingearbeiteten Stacheldraht, erfüllt seinen Zweck. Der Unternehmer hat den guten Handy-Empfang auf seinem Grundstück wieder für sich allein. Dagegen hat auch bei der Stadt niemand etwas. Eigentum ist schließlich noch immer Eigentum, auch wenn man sich fragt, wo angesichts deutscher Steuersätze das Verständnis für den Sinngehalt des Begriffs geblieben ist. Deswegen hatte die Stadt der Firma Stahl-Hesse auch angeboten, selbst einen Zaun zu bauen. Das wäre aber vielleicht nur ein Zäunchen geworden, mehr etwas Symbolisches ohne jede Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit ist aber total hip in Deutschland – und der Unternehmer geht deshalb gern mit der Zeit. Jedenfalls hat er der Stadt gesagt, daß sie sich ihr Zäunchen sparen könne, er baue selber etwas Geeignetes. Das wiederum will nun die Stadt nicht hinnehmen. Nicht, daß der Zaun, den die Stadt hätte bauen wollen, einen anderen Zweck verfolgt hätte als den, welchen der Zaun des Unternehmers verfolgt: Der von der Stadt hätte halt mehr nach Willkommenskultur ausgesehen und nicht nach totaler Ablehnung. Willkommenskultur ist auch hip. Da hinkt der Unternehmer der Zeit etwas hinterher, das muß man schon sagen. Jedenfalls wäre der Unterschied zwischen den Zäunen gewesen, daß der eine die „Flüchtlinge“ menschenfreundlich davon abhält, das Nachbargrundstück zu betreten – und der andere eben menschenfeindlich.
„Was also tun?“, fragte man sich bei der Stadt Schwerte. Als Sofortmaßnahme wurde auf der Flüchtlingsseite des Zauns im sicheren Abstand zu der panzerstoppenden Gemeinheit ein rot-weißes Flatterband angebracht. Warum? Weil die „Flüchtlinge“ nicht nur erwachsene „Flüchtinge“ mit Augen im Kopf sind, sondern auch „Schützlinge“, wie der Arbeitskreis-Helfer behauptet. Der Schützling ist sozusagen der Orgasmus des am Helfersyndrom Erkrankten. Ohne Schützling keine triebhafte Helferfreude im Arbeitskreis. So einen Zaun hat der fiese Unternehmer da hingebaut: Eine Stahlmonstrosität, an der sogar Männer ihr Leben aushauchen könnten, die erfolgreich von Afghanistan bis nach Deutschland „geflüchtet“ sind! Ohne Flatterband würden vermutlich jeden Morgen zwei bis drei Flüchtlinge mausetot im Unternehmerzaun hängen, während ihr Handy völlig umsonst einen vortrefflichen Empfang hätte! Ein Bild des Grauens.
Das muß man sich einmal überlegen: Obwohl der städtische Zaun dieselbe Funktion hätte haben sollen, wie der Zaun des Unternehmers, will die Stadt nun prüfen, welche baurechtliche Handhabe sie gegen den Unternehmerzaun hat! Warum? Einzig und allein deswegen, weil ihr die Botschaft nicht gefällt, die er – immerhin stromlos – verströmt. Nur deswegen! Die Stadt hat sich sogar Geld gespart. Aber das hat hier nicht die geringste Rolle zu spielen. Es ist die Botschaft, die verhindert werden muß.
Na ja, Deutschland und seine Zaunkönige halt …

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