Von Peter Grimm
„Wer betrügt, der fliegt“ war vor zwei Jahren ein Slogan der CSU, der fast überall in Politik und Medien als Ausfluss eines üblen, ausländerfeindlichen, wenn nicht gar rassistischen Populismus gegeißelt wurde. Damals richtete sich der Spruch gegen das unberechtigte Erschleichen von Sozialleistungen durch manche Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien. Das war also böser Populismus.
„Wer hetzt, der fliegt“[1], sagt jetzt der neue IG-Metall-Chef Jörg Hofmann, weil er es richtig findet, dass Mitarbeiter, die eine aus Unternehmenssicht falsche Gesinnung äußern, ihren Arbeitsplatz verlieren. Auch dann, wenn sie diese falsche Gesinnung nicht am Arbeitsplatz vertreten, sondern in ihrer Freizeit öffentlich beispielsweise in sozialen Netzwerken. Aber weil es ja hier um Äußerungen geht, die als rassistisch und fremdenfeindlich bewertet werden, ist „wer hetzt, der fliegt“ auf alle Fälle guter Populismus. Etwas anderes kann man einem Spitzengewerkschafter auch nicht zuschreiben, auch wenn er damit seine Verachtung für Grund- und Arbeitnehmerrechte demonstriert.
Denn wer hat die Definitionshoheit, ab wann ein mit dem Arbeitsplatzverlust zu sanktionierender Rassismus beginnt? Sind es die Tugendwächter, die aktuell auch schon fundierte Islamkritiker wie Hamed Abdel Samad als Nazi brandmarken und zum Protest gegen ihre Auftritte aufrufen?[2] Wo sind wir angekommen, wenn schon beim Vorsitzenden der weltweit größten Einzelgewerkschaft die Grundkenntnisse über die Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaats nicht mehr abrufbar sind. Gibt es vielleicht noch ein paar Gewerkschafter, die den Vorsitzenden daran erinnern können, dass Arbeitnehmervertreter früherer Generationen dafür gekämpft haben, dass niemand für legales Handeln in seiner Freizeit arbeitsrechtlich sanktioniert werden darf?
Gibt es vielleicht noch jemanden, der ihm erklären kann, dass Freiheit nichts wert ist, wenn sie nicht für alle gilt, solange sie nicht die Freiheit eines anderen einschränken? Und dass es für den Fall der Grenzüberschreitung und notwendigen Sanktionen das Strafrecht und den Rechtsweg gibt? Ansonsten muss man auch dumme und mitunter üble Meinungsäußerungen aushalten. Natürlich ist es legitim, einen Mitarbeiter zu entlassen, der den Betriebsfrieden stört, aber Hofmann wurde explizit nach Mitarbeitern gefragt, die sich „im Internet über Twitter oder über Facebook“ rassistisch und fremdenfeindlich geäußert hätten, als er antwortete: „Wer hetzt, fliegt! Und das muss auch jedem klar sein.“[3]
Ein Verweis auf Strafanzeigen, ordentliche Gerichte und den Rechtsweg fiel hm hingegen nicht ein – vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gar nicht erst zu reden. Vielleicht erinnert sich der Genosse Hofmann – als guter Gewerkschaftsfunktionär ist er natürlich in der SPD – noch an das früher oft gebrauchte Zitat: „Die Freiheit stirbt zentimeterweise“. Vielleicht schenkt ihm eine Erleuchtung doch noch den Gedanken, auf welch abschüssigen Weg er sich begibt, wenn er im Sinne des Guten den Arbeitsplatzverlust als Ersatz-Strafe für ein Gesinnungsvergehen sanktioniert. Was sich heute gegen vermeintlichen Rassismus richtet, kann morgen schon zur Eindämmung ganz anderer missliebiger Haltungen eingesetzt werden. Nicht ohne Grund müssen deshalb Grundrechte für alle verteidigt werden, auch für Idioten.
Glücklicherweise erfreut einen gerade in solchen Momenten dann ein Kommentar, der beweist, dass dieser Grundsatz auch im linken, linksliberalen und grünen Milieu noch nicht völlig vergessen wurde. Diese Freude machte am Wochenende Bettina Gaus dem taz-Leser: Mitglieder der Bundesregierung fordern seit Wochen die Betreiber des sozialen Netzwerks Facebook auf, Inhalte, die seine Nutzer dort posten, auf ihre Verfassungsmässigkeit hin zu überprüfen. Und was tut das linksliberale Milieu? Es applaudiert. Als ob gegen eine Beschränkung der Meinungsfreiheit gar nichts einzuwenden sei, wenn sie sich nur gegen die richtigen Leute wendet. Das zeugt von einem seltsamen Verständnis dieses Grundrechts.
Aufrufe zu Gewalttaten und Volksverhetzung sind zu Recht strafbar, und sie sollen es auch bleiben. Dazu muss aber nicht der Betreiber eines Netzwerks tätig werden: Alle, die so etwas lesen, können Anzeige erstatten.
Aber es gibt viele ekelhafte Meinungsäußerungen, die eben nicht strafbar sind. Selbst die Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist nicht verboten. Ja, auch das gibt die Meinungsfreiheit her. Und deshalb machen Gerichte es sich nicht leicht mit der Aufgabe, die Grenze zu definieren zwischen dem, was noch und dem, was nicht mehr erlaubt ist. Das ist ja auch nicht einfach. Dachte ich bisher.
Der Justizminister sieht das offenbar anders. Er möchte den Facebook-Betreibern die hoheitliche Aufgabe der Zensur übertragen – ohne klare Richtlinien und Definitionen, ohne Amt, ohne Mandat. Nur so nach Gefühl. Wissen doch eh alle, was und wer gemeint ist, oder? Es trifft ja die Richtigen.
Es ist mir egal, ob es die Richtigen oder die Falschen trifft. Das Recht auf Meinungsfreiheit gilt für alle, auch für Rechtsradikale. Habe ich keine Angst vor Beifall von der falschen Seite? Doch, habe ich. Aber nicht so viel Angst wie vor einer Entwicklung, in der Demokraten die Staatsanwaltschaft für den geeigneten Ort halten, den Streit der Meinungen auszutragen.[4]
[1] http://www.deutschlandfunk.de/ig-metall-chef-joerg-hofmann-wer-hetzt-der-fliegt.868.de.html?dram:article_id=334950
[2] http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/wir_sind_der_kiez
[3] Siehe Fußnote 1