Von Max Erdinger
Sie sind Demokrat. Natürlich sind Sie Demokrat. Sie leben schließlich in der Bunten Republik Deutschland. Die ist deutsch, demokratisch und eine Republik. Na also. Wer in der Deutschen Demokratischen Republik lebt, der ist per definitionem ein Demokrat. Die Demokratie ist die beste aller möglichen Regierungsformen. Das wissen Sie. Und zwar nicht erst seit heute. Das wussten Sie schon, als Sie noch zur Schule gegangen sind. Um noch einmal kurz zusammenzufassen, was Sie damals gelernt haben: Hätte der alte Schicklgruber ein demokratisches Kondom benutzt, dann wäre der Hitler gar nicht erst auf die Welt gekommen. Gegen Hitler ist die Demokratie das, was die Lümmeltüte gegen die Vaterschaft ist. Die Demokratie bewahrt Sie davor, jemals wieder mit „Heil Hitler!“ grüßen zu müssen. Als Demokrat wissen Sie auch, dass der schlimmere Teil in „Heil Hitler!“ nicht „Heil“ ist, sondern „Hitler“. Hitler geht gar nicht. Das wissen Sie. Das halten Sie für richtig und allein deswegen sind Sie schon ein deutscher Demokrat.
Ihre Ahnen
Unter Ihren Vorfahren gab es alles: Kaiserliche, dann Weimarer Demokraten, danach Hitlerfans, aus denen ganz schnell amerikafreundliche Hitlerfeinde geworden sind – und seit man Ihren Vorfahren 1949 erklärt hat, dass sie nun Demokraten seien, gab es nur noch Demokraten in Ihrem Stammbaum. Sie sehen: Demokrat wird man, indem einem von der Obrigkeit verordnet wird, dass man einer zu sein habe. Sie hatten das unverschämte Glück, schon als Demokrat zur Welt gekommen zu sein. Über die Nabelschnur wurden Sie bereits mit Demokratie versorgt. Wenn man, so wie Sie, bereits als Demokrat zur Welt gekommen ist, dann hält man die Welt, in der man aufwächst, für eine Demokratie. Man muss sie für eine Demokratie halten, weil man sonst im stetigen Widerspruch zu dem aufwachsen würde, was einem ständig erzählt wird. Das gefällt keinem Kind. Ein Kind lebt gerne im Einklang mit der Welt – und ein braves Kind hat es nun einmal leichter im Leben als ein widerspenstiges. Es erfährt Bestätigung und wird geliebt. Aus den braven Kindern werden später die bravsten Demokraten.
Schön brav sein und weiterlesen
In just diesem Moment Ihres demokratischen Lebens lesen Sie diese Zeilen und Sie werden das Gefühl nicht los, dass der Autor Sie nicht richtig für voll nimmt. Am liebsten würden Sie gar nicht weiterlesen. Es beschleicht Sie gerade der Verdacht, dass der Autor drauf und dran sein könnte, zu behaupten, Sie seien gar kein Demokrat. Als Demokrat müssten Sie sich das aber angesichts Ihrer Freiheit, zu lesen, was Ihnen beliebt, gar nicht gefallen lassen. Schließlich sind Sie ja auch deswegen Demokrat, weil Ihnen ganz gut gefällt, sich nicht überlegen zu müssen, wer Sie eigentlich wären, wären Sie nicht schon Demokrat. Bitte, nur zu, dann lesen Sie eben etwas anderes. Oder lesen sie nichts. Das ist Ihr gutes Recht. Als Demokrat haben Sie das Recht auf Ihre eigene Meinung. Sie haben Mitspracherechte. In einem Artikel wie diesem hier redet aber nur einer, nämlich der Autor. Und in einer Demokratie lässt man nie jemanden ausreden, sondern man unterbricht ihn. Wegen der Lebendigkeit der demokratischen Debatte! Das kann man in jeder demokratischen Talkshow sehen. Schönen Tag noch!
Die Treue des lesenden Demokraten
Wie ich sehe, sind Sie noch da. Sie wollen also weiterlesen. Das gefällt mir. Sicherlich sind Sie mit mir einer Meinung, dass es ein schönes demokratisches Recht ist, zu sagen, was einem gefällt. Das kommt aus Amerika und ist sehr demokratisch. Jeder darf jederzeit frei heraus sagen, was ihm gefällt. Das aber nur nebenbei.
Als Demokrat wissen Sie natürlich schon, dass die Demokratie von Leuten wie Ihnen lebt. Der Demokrat ist informiert, kennt sich aus, hat nicht nur irgendeine Meinung, sondern er hat sich eine gebildet. Wie er sich die gebildet hat oder von wem er sich eine hat bilden lassen, spielt hinsichtlich der Berechtigung seiner Meinung keine Rolle. In der Demokratie gilt die Meinungsfreiheit, nicht die Meinungsbildungspflicht. Und eine Nachweispflicht darüber, wie der Demokrat zu seiner Meinung gekommen ist, die gibt es schon dreimal nicht. Wer in der deutschen Demokratie eine Würstchenbude eröffnen will, muss hunderterlei Nachweise dafür erbringen, dass er mit seinen Würstchen niemanden gefährdet, dass er gesund ist, die Grundkenntnisse kaufmännischer Kalkulation beherrscht und weiß, was eine Vorsteuerabzugsberechtigung ist.
Als demokratischer Meinungsverkäufer ist man wesentlich besser dran. Man muss niemandem etwas nachweisen. Der Demokrat kann aufgrund der Unreguliertheit von Meinung beispielsweise behaupten, es sei ein erstrebenswertes Ziel, alle Bayern durch Würstchen zu ersetzen. Vermutlich wussten Sie aber schon, dass die Meinungsfreiheit das Schönste an der Demokratie ist. Sie sind schließlich Demokrat.
Der Einwurf Ihrerseits
Haben Sie gerade Propaganda gesagt? Ah, Sie denken mit beim Lesen. Da sage ich ganz demokratisch: Das gefällt mir. Sie haben Recht. Es gibt in der Demokratie tatsächlich Propaganda. Sie darf nur nicht so genannt werden. Der Demokrat darf sie nicht erkennen, da er sonst in Selbstzweifel verfallen würde, was gar nicht gut für die Demokratie wäre. Das gilt aber nur für die gute Propaganda. Die gute Propaganda muss auch deswegen nicht als Propaganda erkannt werden, weil es völlig ausreicht, dass sie gut ist, also dem Guten dient. Es gibt aber auch eine schlechte. Die muss der gute Demokrat unbedingt erkennen können. Die schlechte Propaganda bezeichnet man in der Demokratie als Volksverhetzung. Wie gefährlich die schlechte Propaganda ist, können Sie gerade zur Zeit sehr gut daran erkennen, dass die Propagandisten des Guten, lautstark wie nie, jeden Tag mehrmals hysterisch „Volksverhetzung!“ brüllen. Das wussten Sie aber schon. Sie leben schließlich in der bunten und Deutschen Demokratischen Republik. Da weiß man das.
Sie hätten da eine Frage
Wie bitte? Sie wollen nun wissen, wer in der Deutschen Demokratischen Republik darüber bestimmt, was als gute Propaganda durchgeht und was als schlechte Volksverhetzung zu bezeichnen ist? – Das ist das demokratische Politbüro. Im Politbüro sind die Besten der Besten aus der deutschen Einheitspartei versammelt, die wiederum nur deswegen nicht Einheitspartei heißt, damit Sie als Demokrat nicht verunsichert weden. Verunsicherung würde Ihr Wohlbefinden nämlich einschränken und Sie so anfällig machen für die schlechte Volksverhetzung. Die wiederum wird von Mitgliedern einer Partei gewissenlos betrieben, die nicht im Politbüro vertreten ist. Weil das so ist, tut das Politbüro so, als ob in der Deutschen Demokratischen Republik noch essentielle Unterschiede bestünden zwischen den Parteien, die zusammen die Einheitspartei bilden. An der Spitze des Politbüros sitzt in der deutschen Demokratie übrigens eine Frau Merkel. Sie müssen sich also gar keine Sorgen machen. Frau Merkel hat eine immense Erfahrung mit Deutschen, Demokratie und Republik. Da Sie aber Demokrat sind, wussten Sie das natürlich schon.
Beispiel gefällig?
Um Ihnen einmal ein Beispiel für die löbliche, gute Propaganda zu geben: Etwa die Hälfte aller deutschen Demokraten sind Männer. Die andere Hälfte besteht aus Frauen. Gute Propaganda besteht in der Deutschen Demokratischen Republik zum Beispiel darin, der einen Hälfte der Demokraten, den Frauen nämlich, klar zu machen, dass die andere Hälfte ihre natürlichen Feinde seien. Und weil in der Demokratie neben der Meinungsfreiheit auch noch eine Vielzahl an Gerechtigkeiten eine wichtige Rolle spielt, darf der Satz „Männer sind Schweine!“ als gute Propaganda auf einem Autoaufkleber spazieren gefahren werden. Welcher Demokrat auch immer sich allerdings einen Aufkleber mit „Frauen sind Schweine!“ auf die Stoßstange klebt, dessen nächste Fahrt führt zum Amtsgericht, wo er wegen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit angeklagt wird und so eine eindringliche Mahnung erhält, nicht mit schlechter Volksverhetzung gegen die gute Propaganda zu verstossen. Deswegen gibt es auch einen Deutschen Juristinnenbund, der ungestört profeministische Lobbyarbeit betreiben – und dabei gegen Artikel 3 des Grundgesetzes der Deutschen Demokratischen Republik verstoßen darf. In der Deutschen Demokratischen Republik gilt das Grundgesetz nämlich als schlechte Volksverhetzung. Aber das wussten Sie schon. Sie sind ja Demokrat.
Was Sie alles wissen
Als Demokrat wissen Sie natürlich auch, dass Sie als demokratischer Souverän bezeichnet werden. In der Deutschen Demokratischen Republik wird Souveränität begriffen als etwas, das einem erlaubt, souverän sein eigenes Süppchen zu kochen, da man konzessionierte Volksvertreter hat, denen man die Konzession zum Volkvertreten per Wahlzettel erteilt. Im Prinzip funktioniert das wie mit dem Würstchenverkäufer. Der einzige Unterschied ist, dass der konzessionierte Volksvertreter keine Nachweise erbringen muss, die seine Befähigung belegen, Volkswürstchen nach allen Regeln der demokratischen Kunst zu verkaufen. Sie sollten sich sicherheitshaber ein Helmchen aufsetzen, bis diese Sicherheitslücke eines Tages – vielleicht – geschlossen werden wird. Bis dahin bleiben Sie einfach ganz entspannt ein demokratisches Würstchen.
Jetzt kommen Sie mal wieder runter
Ja bitte, jetzt regen Sie sich halt nicht auf wegen dieses provokanten Würstchenvergleichs. Was soll die Hysterie? Wurst ist Wurst. Alle Wüstchen sind gleich. Sie sind nicht besser oder schlechter als irgendein anderes Demokratiewüstchen. Oder wollen Sie vielleicht behaupten, die Weißwurst sei etwas Besseres als die Schwarzwurst? Vielleicht wollen Sie auch noch behaupten, die Weißwurst hätte in Bayern ein angestammtes Recht auf den größten Teil der Wurstverkaufsfläche? Sie werden sich noch umschauen in Ihrer demokratischen Wurstfabrik. Bald werden Sie enorme Mengen Schwarzwurst und Islamwurst gleichberechtigt neben sich im demokratischen Sortiment liegen haben. Die Deutsche Demokratische Republik wird sich umbenennen in Deutsche Demokratische Wurstfabrik. Aber das wussten Sie natürlich schon. Sie sind ja Demokrat.
Einen schöngutdemokratischen Guten Morgen allerseits an die gesamte Fleischwarenabteilung!