Was ist nur mit unseren linksliberalen Medien los? Die Willkommensbegeisterung des letzten Sommers ist jedenfalls dahin. Selbst die ZEIT ist mittlerweile im Krisenmodus angekommen und spricht von einem Kontrollverlust durch die Öffnung der Grenzen und ungebremste Zuwanderung im Jahr 2015. Doch statt das Krisenspielchen der etablierten Öffentlichkeit mitzumachen, muß es jetzt um grundsätzliche Fragen gehen. Ein Kommentar von Felix Menzel.
Krisen gehören zur Moderne wie die Löcher zum Schweizer Käse. An die Krisendiskurse der Medien und den Reparaturbetrieb der Politik haben wir uns deshalb längst gewöhnt. Egal, ob es um die Finanz-, Euro- oder jetzt eben die Asylkrise geht, immer ist das Muster der massenmedialen Erzählung ähnlich: Dem jahrelang verdummten Bürger wird aufgetischt, es sei etwas völlig Unvorhersehbares geschehen, das niemand erahnen konnte. Wenn dann die ersten Kritiker die wahren Ursachen der Krise benennen, wird dieses Argument noch um den Zusatz ergänzt, wir hätten ja schließlich bisher vom Auslöser der Krise profitiert, weshalb wir dies jetzt als unausweichliche Realität hinzunehmen hätten und kleinere Korrekturen an den komplexen Systemen der Moderne vornehmen müßten.
Wie funktionieren Krisendiskurse?
Bei der Asylkrise hörte sich das dann so an: Niemand konnte wissen, dass im Jahr 2015 mehr als eine Million „Flüchtlinge“ aus Afrika und dem Erweiterten Mittleren Osten nach Europa aufbrechen, doch es gebe handfeste Gründe für diese Menschen (Bürgerkrieg, Hunger, Armut, Diktatoren), weshalb wir jetzt – ohne in die Gesetze schauen zu dürfen – moralisch dazu verpflichtet seien, zu helfen. Außerdem kommen ja größtenteils Fachkräfte und Grenzen schließen geht übrigens auch nicht, weil unsere Wirtschaft seit vielen Jahren vom freien Binnenverkehr in Europa profitiere und unser Wohlstand sofort dahin sei, wenn die Schlagbäume zurückkehrten. Deshalb helfe nur ein optimistisches „Wir schaffen das!“ und ein bißchen Verzicht, um die Welt besser zu machen und mit der Globalisierung klarzukommen.
Nach solchen Lageanalysen folgen in Krisendiskursen stets die „Sofortprogramme“ der Experten und Technokraten. 2015 hieß es deshalb: Wir müssen integrieren über Arbeit. Die großen Unternehmen des Landes zeigten sich hier gegenüber den Medien übereifrig mit ihren Bekundungen, sie seien „weltoffen“, weshalb diese Integration schon „irgendwie“ klappen werde, wenn der Staat ein paar Sondersubventionen bereitstelle.
Als nächstes, an diesem Punkt stehen wir jetzt gerade, müssen die meinungsmachenden Medien dann kleinlaut einräumen, daß sie sich in wesentlichen Punkten geirrt haben, aber jeder lerne ja ständig dazu und der eingeschlagene Weg müsse trotzdem fortgesetzt werden. Die Technokraten der Regierung und etablierten Parteien können ihr suboptimales Krisenmanagement somit aber wenigstens mit der ebenfalls ratlosen Öffentlichkeit begründen. Es heißt dann, wir stünden vor einer völlig neuen Situation, die niemand so wollte, mit der wir jetzt jedoch fertigwerden müssen. Es handelt sich hierbei um ein völlig perfides Wechselspiel, bei dem die Dummheit der Medien als Legitimationsgrundlage für inkompetente, oberflächliche und schludrige Regierungsarbeit herhalten muß – ganz nach dem Motto: Es ist zwar alles schiefgegangen, aber es gab ja keine Alternativen.
Der Gewöhnungseffekt
Die kaum wahrnehmbaren Kritiker dieser Politik können allerdings auch sehr schnell in Sackgassen laufen, denn Krisendiskurse produzieren ständig Scheindebatten, die mit den wesentlichen Fragen nichts zu tun haben. Mindestens drei Viertel aller Kritiker lassen sich auf diese Scheindebatten aber ein, weil sie fürchten, sonst keine öffentliche Aufmerksamkeit erregen zu können. Und so passiert es dann, daß ein ganzes Land über das Burka-Verbot diskutiert, statt mit Vehemenz eine fundamental andere Migrationspolitik einzufordern.
Währenddessen ist die Krise zum Normalzustand geworden und nach anfänglicher Massenempörung und gut besuchten Demonstrationen interessiert sich so gut wie niemand mehr für das vom Staat angestellte Chaos und die noch immer ausgebliebene Beschäftigung mit den grundsätzlichen Fragen, weil die Tagespolitik als drängender erscheint. Das Volk gewöhnt sich an den permanenten Ausnahmezustand. Es nimmt den schleichenden Verlust nationaler Identität hin, weicht ängstlich aus, um den Rückgang der inneren Sicherheit zu kompensieren, und schluckt auch die Kröte, die Neuankömmlinge in den nächsten Jahren mitzuversorgen.
Abgesehen von ein paar unbelehrbaren Gutmenschen regt es natürlich die breite Masse auf, daß illegale Einwanderer und kriminelle Ausländer selbst nach dem Kölner Silvesterschock nicht konsequent abgeschoben werden und das Chaos im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bis heute so groß ist, daß es bei freiwilligen AusreisenWartezeiten von vier bis sechs Monaten gibt. Doch es passiert nichts. So sind eben die Behörden, denkt sich der Wutbürger, wenn er die täglichen Nachrichten aus Absurdistan hört.
Das Chaos nimmt zu, während die Probleme verdrängt werden
Der Krisendiskurs neigt sich seinem Ende entgegen, wenn sich Staat, Medien und Bürger trotz ausbleibender Lösung der Probleme mit den Begleiterscheinungen der neuen Situation abfinden und alle auf ihre Art „weiterwurschteln“. Der Staat drosselt die Einwanderung auf ein paar Hunderttausend pro Jahr, damit die Selbstabschaffung der Nation nicht so deutlich auffällt und die eigene Macht erhalten bleibt. Er schiebt ein paar Kriminelle und Illegale ab, bewilligt weitere Milliarden Euro für Sicherheit, Überwachung, Bildung, Erziehung sowie Integration und führt einige Alibi-Projekte in Afrika durch, die von naiven Journalisten bejubelt werden.
Die Bürger bleiben verhalten zornig, manche wählen jetzt vielleicht AfD, andere hoffen aufHorst Seehofer und wieder andere sind von all dem so frustriert, daß sie sich überhaupt nicht mehr mit Politik befassen und eine Innere Emigration vollführen. Achso, und irgendwann kommt danach ein neuer Aufreger, der die Asylkrise gänzlich aus den Massenmedien verdrängt, die nun wieder zu ihrer selektiven Berichterstattung über erfolgreiche Einzelintegrationen übergehen können.
Was bleibt also nach der Krise, wenn die grundsätzlichen Klärungen ausgefallen sind? Das gesellschaftliche Chaos nimmt zu, der multikulturelle Überwachungsstaat wird langsam perfektioniert und die Deutschen fügen sich ihrem Sisyphos-Schicksal, bis es wirklich eines Tages unerwartet kracht.